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Projekt Sakkara

Titel: Projekt Sakkara
Autoren: Andreas Wilhelm
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nach dem Lichtvorhang aus und beobachtete, wie seine Finger in das flüssige Licht eintauchten. Dann machte er einen Schritt nach vorn, und plötzlich klappte die leuchtende Fläche in sich zusammen, stülpte sich um den Mann und umhüllte ihn wie einen leuchtenden Feuerball. Während sich die strahlenden Flammen um ihn drehten, sandten sie Lichtbögen nach allen Seiten in die Höhe, wie Protuberanzen einer gleißenden Sonne. Dann begann die Kugel zu schrumpfen, zog sich immer dichter um den Deutschen, und mit einem plötzlichen Zucken schlüpfte das Licht in ihn hinein. Einen Moment lang blieb es ruhig, auch Oliver, der das unfassbare Geschehen beobachtete, spürte keinen Schmerz, sondern erlebte einen Augenblick absoluter Klarheit, in der die Zeit stehen zu bleiben schien.
    Und dann, mit einem unmenschlichen Aufschrei, durchfuhren spastische Krämpfe den Mann. Er begann, durchscheinend zu leuchten, warf die Arme zur Seite, riss seinen Mund auf, und mit explosiver Wucht schoss das feurige Licht aus seiner Kehle, zur Decke hinauf. Dünne Strahlenfäden traten aus seinen Ohren und Augen und wirbelten empor. Das Licht, das er auszuspeien schien, nahm kein Ende, schien das Innere des Mannes herauszureißen. In der Höhe teilte es sich, wand sich in schlangengleichen Bewegungen um die Säulen, zuckte wieder herab, bündelte sich, und traf den Mann mit einer so großen Kraft, dass er nach hinten taumelte. Es durchschlug seine Brust und drang aus seinen Rücken wieder hervor. Der Mann war nur mehr eine hilflose Marionette in den Klauen dieser unirdischen Macht. Er krümmte sich, brüllte vor Schmerz und Verzweiflung, versuchte, das Licht zu ergreifen, fernzuhalten, aber es schlug immer wieder auf ihn ein, schoss von allen Seiten durch seinen Körper und zerstörte seinen Geist, bis er schließlich mit verzerrtem Gesicht, glasigen Augen und verkrampften Gliedmaßen wie eine ausgemergelte Puppe zu Boden fiel.
    Oliver sah, wie sich das Licht von der Leiche des Deutschen zurückzog, in die Höhe floss und sich dort oben wieder zu jenem sanft wehenden Polarlicht wandelte, das es auch am Anfang gewesen war.
    Dann brandete eine neue Woge des Schmerzes heran und schlug über ihm zusammen. Er schloss die Augen und verlor das Bewusstsein.
     
    11. Oktober 2006, Nekropole von Sakkara
     
    »Sie wussten die ganze Zeit, dass sich die Halle der Aufzeichnungen hier befindet!« Peter sah Guardner durchdringend an, als der Alte seine Erzählung beendet hatte.
    »Ja«, antwortete Guardner. Er deutete mit seinem Stock auf die Säulen. »Dieses Licht empfing mich vor fünfundsechzig Jahren und hat seitdem mein Leben bestimmt.«
    »Dann kannten Sie den Inhalt des Papyrus«, sagte Patrick, »Sie kannten die Bedeutung des Codex von Guillaume des Baux ... «
    »Ja«, gab Guardner zu. »Ich kannte es, ich hatte alles bereits übersetzt. Ich war auch schon lange vor Ihnen auf Rhodos, schlich mich in den vierziger Jahren, während des Zweiten Weltkriegs, durch die italienischen Reihen und in den Palast ... « Sein Blick verlor sich in unbestimmter Ferne, als er sich erinnerte. »Nun, damals war ich noch ein junger Mann, jünger, als Sie es heute sind. Wagemutig, tollkühn geradezu. Aber ich wollte die Suche meines Vaters unbedingt zu Ende bringen. Ich war es, der die Abschrift der Tabula Smaragdina anfertigte, die den Deutschen schließlich dazu diente, ihre Forschungen fortzusetzen, nachdem sie mich erwischt und mir das Dokument abgenommen hatten. Es waren dieselben Barbaren, die die unersetzliche Tabula vernichteten, deren Bruchstücke Sie in den Kellern des Großmeisterpalastes fanden. Sie lauerten mir schließlich in Kairo auf, ich weiß bis heute nicht, wie sie das angestellt haben, und verfolgten mich durch die Gänge.« Dann sammelte sich sein Blick wieder und wanderte zu dem Licht. »Aber niemand vermag das Gericht zu überwinden. Es sieht den Menschen in ihre Herzen. Und hätten die Deutschen an die Wahrheit der alten Überlieferungen geglaubt, hätten sie gewusst, dass schwarze Seelen, wie sie es waren, es niemals hätten passieren können.«
    »Aber wie haben Sie Ihre Verletzung überlebt?«, fragte nun Melissa. »Wie konnten Sie aus der Höhle fliehen? Und überhaupt ... wie sind Sie eigentlich heute hierhergekommen?«
    Der Alte lächelte sanft und klopfte dann mit dem Griff seines Gehstocks in seine Seite. »Ja, es hatte mich böse erwischt. Der Schuss hatte meine Hüfte zertrümmert. Aber ich wurde gerettet.« Seine Augen bekamen einen
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