Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht

aufgeräumt. »Ich glaube, du hast gerade einen Fan verloren.«
    Nur noch ein kleines Weilchen, sagte Jet zu sich selbst, während sie lächelte und lächelte und lächelte. Bald würde der Bürgermeister seine Rede beenden. Jet würde huldvoll ihr Geschenk entgegennehmen, ein Dankeschön murmeln und sehr schnell eine sehr kurze Rede halten. Danach ginge es weiter zu den Punkten Gottesdienst und Fernsehshow auf ihrem Tagesprogramm. Und dann, endlich, würde sie wieder hinausgehen in die Stadt und ihren Job erledigen. Ohne gefilmt zu werden.
    »Warte mal«, hörte sie Meteorite sagen. »Da kommen gerade einige Daten herein.« Es klickte, und die Stimme aus Ops war verschwunden. Jets Ohren füllten sich mit weißem Rauschen, wie von einem Wasserfall.
    Lächelnd wartete Jet. Sie hoffte, es würde sich um wichtige Informationen handeln. Informationen, die so dringend waren, dass sie sofort losmusste. Am besten noch vor der Rede, die sie wirklich unter gar keinen Umständen halten wollte. Vielleicht ein bewaffneter Raubüberfall oder ein Feuer …
    Der Knopf in ihrem Ohr summte, und die Stimme von Meteorite sagte: »Neue Anweisungen, Kleines. Wir haben sie aufgespürt.«
    Jets Herz schlug schneller. »Sie? Bist du sicher?«
    »Ganz sicher. Es ist eindeutig ihre Energiesignatur. Wie auch immer sie es in den letzten Monaten geschafft hat, sich abzuschirmen – es gibt da jetzt anscheinend ein Leck in ihrer Deckung. Du musst sie unbedingt danach fragen, wenn du sie findest.«
    »Wo?«
    Ops gab ihr die Koordinaten. »Und Jet«, sagte Meteorite, und alle Verspieltheit war aus ihrer Stimme gewichen. »Sollte ihr dieses Mal wieder so ein Verschwindetrick gelingen, macht Corp uns die Hölle heiß. Lass sie nicht noch einmal entwischen.«
    »Oh nein, diesmal nicht«, erwiderte Jet. Ihre Stimme klang dunkel, und es lag ein Versprechen darin. Nein, sie würde sie unter gar keinen Umständen entkommen lassen. Nicht noch einmal. Nach fünf Jahren zermürbendem Katz-und-Maus-Spiel hatte Jet endgültig genug.
    »Ich werde den Termin bei Cohn auf morgen verlegen. Aber zu Goldwater musst du auf jeden Fall.«
    »Verstanden.«
    »Jetzt mach einen möglichst höflichen Abgang und setz deinen Hintern in Bewegung.«
    Jet räusperte sich. Dann unterbrach sie Lees Redefluss.
    »Danke, Bürgermeister. Es ist mir wirklich eine große Ehre, heute diese Auszeichnung zu erhalten.«
    Lee starrte sie an. Sein Mund arbeitete still vor sich hin, als ob er um jeden Preis weitersprechen wollte. In seinen Augen zeigte sich Verwirrung. Die Zuschauer verstummten und blickten gespannt auf ihre Retterin, die dort oben stand.
    Sie lächelte den Menschen von New Chicago zu, und diesmal fühlte es sich echt an. »Und ich danke Ihnen allen. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie viel mir Ihre Unterstützung bedeutet.« Mit einer geschmeidigen Bewegung ihres Handgelenks rief sie einen ringförmigen Schatten herbei, der wie eine kleine Plattform neben ihr in der Luft schwebte. »Doch jetzt muss ich los.«
    »Aber …«, sprudelte es aus dem Bürgermeister heraus. Er schwankte zwischen Entrüstung und professioneller Höflichkeit. »Sie haben Ihre Auszeichnung ja noch nicht einmal bekommen.«
    »Es tut mir wirklich leid, Sir, aber die Pflicht ruft. Eine Verbrecherin treibt ihr Unwesen, und ich muss sie in ihre Schranken weisen.« Sie trat auf den Ring aus schwarzem Rauch und befahl ihm aufzusteigen. Ihr Umhang bauschte sich, als sie über die Menge hinwegglitt und ein letztes Mal auf sie hinuntersah. Videokameras klickten und surrten, und die Zuschauer jubelten, als Jet ihnen zuwinkte.
    »Genug posiert«, kam es von Ops. »Zeit, jemandem den abtrünnigen Hintern zu versohlen.«
    »Oh ja«, entgegnete Jet, und ihr Lächeln nahm einen raubtierhaften Ausdruck an. »Sie wird gar nicht wissen, wie ihr geschieht.«
    Und mit diesen Worten schoss sie davon.

KAPITEL 3
    IRIDIUM
     
    Bis auf gelegentliche Ausnahmen haben sich die Außermenschlichen dem Dienst an und dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verschrieben. Und sie sind dabei im Allgemeinen eifriger und gewissenhafter als der normale Polizeibeamte.
    Stan Kane, Vorsitzender von Corp-Co, in seiner Rede vor Corp-Co-Aktionären auf der 110. Jahresversammlung,
    31. Januar 2112
     
    Mitten auf ihrem Weg durch die zahllosen Gassen, die Wreck City wie ein Netz geplatzter Adern durchzogen, blieb Iridium plötzlich stehen und drehte sich um.
    »Du kannst jetzt rauskommen. Mit diesem Schattentrick hast du mich das