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Projekt Babylon

Titel: Projekt Babylon
Autoren: Andreas Wilhelm
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von Pferden oder Hirschen, und es gab auch keine Abdrücke von Händen oder Punktmuster. Das waren Schriftzeichen! Allerdings waren es Symbole und Buchstaben einer Sprache, die er nicht kannte. Nein, das sind keine alten Malereien, überlegte er enttäuscht. Vielleicht hatten sich mal ein paar Touristen hierher verirrt und die Wände angemalt? Auch andere Stellen waren verziert. Er schritt die Höhlenwand entlang und staunte, wie viel Mühe man sich hier gemacht hatte. Je weiter er ging, umso dichter wurden die Zeichnungen, die Höhle war von oben bis unten davon übersät! Es gab aufwendig verzierte Schriftzüge, kurze Wortbilder, zum Teil waren aber auch lange Texte dabei. Es musste eine ganze Reisegruppe hier gewesen sein, nicht nur, weil es so unsagbar viele Malereien waren, sondern auch, weil es sehr unterschiedliche Schriftzeichen waren, so als hätten die Touristen verschiedene Sprachen gesprochen.
    Mit einem Mal flackerten die Flammen der behelfsmäßigen Fackel und erloschen. Der Schäfer stand in völliger Dunkelheit. Ärgerlich kramte er nach seinem Feuerzeug, als er einen bläulichen Schein wahrnahm. Zunächst wunderte er sich, woher denn jetzt schon Mondlicht kommen könne, da es doch gerade erst zu dämmern begonnen hatte und der Himmel zudem noch wolkenverhangen sein müsste. Doch dann wurde ihm bewusst, dass der Schein nicht vom Höhleneingang, sondern aus dem Inneren kam. Und während sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, machte er mehr Einzelheiten aus. Der Gang weitete sich und führte um eine Ecke, hinter der der Schein am stärksten war.
    Die Neugier siegte über seine Bedenken, und der Schäfer wagte sich tiefer in die Höhle hinein, wie magisch angezogen vom schimmernden blauen Licht.

    Die Festlichkeiten im Palais de Molière erreichten ihren Höhepunkt, als das Büfett eröffnet wurde. Die anwesenden Gäste vergaßen für wenige Augenblicke ihre gute Erziehung und häuften sich mit spitzen Fingern ihre Teller voll. Obwohl sie sich bemühten, sich dem Anlass und ihrer eigenen eleganten Kleidung gemäß zu verhalten, gelang es nur den wenigsten, sich halbwegs würdevoll aus der Affäre zu ziehen. Die einen bekleckerten sich mit Sauce, anderen fiel eine Gabel oder ein Messer zu Boden, wieder andere gaben ihre Teller zurück, als hätte darauf ein unappetitliches Gemetzel stattgefunden. Nicht so die drei Gestalten am Fenster. Reglos standen sie da und blickten hinaus in die Gärten, mit einem eigenartigen Leuchten in den Augen. Die Spekulationen der Gäste über die sonderbaren Fremden waren nun jedoch ihrem Interesse an Krabbensalat und Kaviarhäppchen gewichen.
    Niemand außer seinen Begleitern hörte deshalb auch, wie der Graf mit ungewohnt erregter Stimme sagte: »Es ist so weit.«

    Ein gellender Schrei hallte durch die Höhle. Augenblicke später hetzte der Schäfer ins Freie. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine Hände umklammerten seinen Kopf, rasend raufte er sich die Haare, zerkratzte sich die Kopfhaut mit den Fingernägeln, so dass ihm Blut die Schläfe hinablief. Und dann stürzte er den steilen Geröllhang hinab, versuchte, sich an den Steinen und Felsen festzuhalten, erwischte hin und wieder mal einen Felsbrocken, der seinen Sturz für kurze Zeit bremste, sich dann jedoch löste und mit dem Schäfer weiter in die Tiefe polterte, bis er in einer Lawine aus Matsch, Steinen und Blut schließlich flacheres Gelände erreichte. Seine Kleidung war zerschunden, er blutete aus zahlreichen Wunden, ein Arm war gebrochen, Rippensplitter bohrten sich in seine Lunge, aus einer Platzwunde am Kopf strömte Blut über sein Gesicht. Doch er blieb keinen Augenblick liegen. Heulend und schreiend richtete er sich auf, wankte einen Moment und stolperte dann in manischer Umnachtung in den Wald.

Kapitel 2

    21. April, Museum für Völkerkunde, Hamburg

    Peter Lavell saß in seinem Arbeitszimmer und korrigierte die Aufstellung der Exponate, die für die kommende Sonderausstellung »5000 Jahre Schrift« ausgewählt worden waren. Der Professor ergänzte gerade eine Vitrinenszene um einige ägyptische Tafeln, die er mit Sicherheit im Fundus wusste und die die Besonderheiten der Hieroglyphen deutlich machten, wenn sie aus Gründen der Optik und der Symmetrie zum Teil seitenverkehrt oder in ungewöhnlicher Reihenfolge angebracht wurden. Die Katalognummern kannte er natürlich nicht, aber er kritzelte einen Vermerk und eine kleine, ziemlich präzise Skizze auf das Blatt, als es an der Tür
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