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Projekt Babylon

Titel: Projekt Babylon
Autoren: Andreas Wilhelm
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klopfte.
    Carsten Thommas trat ein, ein Mann Anfang dreißig, der erst seit zwei Jahren in Hamburg war, aber die Aufsätze und Vorlesungen Professor Lavells seit seiner Studienzeit verfolgte. Nach dem Studium in Marburg und einigen Jahren Feldforschung in Äthiopien und der Türkei war er an die Universität Hamburg gekommen, um dem Professor möglichst nahe zu sein. Aus demselben Grund hatte er sich auch um eine Stelle im wissenschaftlichen Beirat des Museums beworben. Er bewunderte Professor Lavell um sein Gesamtwissen, den Überblick, seinen Sinn für Zusammenhänge, die die Spezialisten der einzelnen Fachrichtungen selten aufzeigen konnten, und hatte sich mit dessen etwas zurückhaltender aber bisweilen zynischer Art abgefunden, die auch in den Vorlesungen und noch viel häufiger in Diskussionen – öffentlich wie privat – hervorkam. Ein Wesenszug, der Lavell nicht überall beliebt machte und der die Kritik der wissenschaftlichen Kollegen an seinen oftmals gewagten Thesen geradezu herausforderte. Aber der aufstrebende Historiker und Anthropologe hatte schon oft erlebt, dass der gebürtige Engländer Lavell, den auch die schärfste Kritik nicht aus der Ruhe zu bringen vermochte, am Ende Recht behalten sollte. Wenn auch einige Vermutungen zunächst kühn oder bestenfalls unwahrscheinlich schienen, waren die Zusammenhänge zum Teil, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, doch so offenbar, dass ihre Anfeindung allein aus dem Rechtfertigungsdrang derer resultierte, die dieselben Schlüsse nicht schon früher gezogen hatten.
    Professor Lavell war ein hoch gewachsener Mann Ende fünfzig, stets tadellos gekleidet, rasiert und manikürt. Seine Bewegungen wirkten bedächtig, doch wer ihn genauer betrachtete, stellte fest, dass seine Gesichtszüge von einem scharfen Verstand zeugten. Seine Augen schienen ständig zu beobachten, fast glaubte man, das leise Surren einer Fotolinse zu hören, die sich immer wieder auf neue Entfernungen und Lichtverhältnisse einstellte. In seinen Augenwinkeln bildeten sich dann feine Fältchen, und eine gehobene Augenbraue oder ein leichtes Schmunzeln zeigten, dass Lavells Geist wach und an der Arbeit war.
    »Guten Morgen, Carsten. Wie war London?«
    Carsten trat mit einem Stapel Papier, einigen Akten und ungeöffneten Briefen näher und setzte sich auf den alten, mit orangefarbenem Stoff bezogenen Holzstuhl. Er stand immer bereit für Gäste und war nie mit Papieren oder Ordnern bedeckt wie in anderen Büros des Museums. Aber Peter Lavells Büro setzte ohnehin Maßstäbe an Ordnung. Lediglich der alte Besucherstuhl des Professors wirkte deplatziert und hatte wundersamerweise noch immer nicht seinen Weg zum Sperrmüll gefunden. Doch selbst wenn er manchmal bedrohlich knarrte, schien er noch recht stabil zu sein, und irgendwie passte er mit seinem Retro-Charme zu seinem Eigentümer, dem technische Neuerungen vor allem suspekt waren.
    »Morgen, Peter. London war ganz in Ordnung. Wichtige Leute, Schnittchen, das Übliche. Die Vorlesung von Dr. Arnherst war sehr interessant. Ich habe die Unterlagen mitgebracht.«
    »Arnherst, das war doch die Geologin aus Mexiko.« Peter lehnte sich zurück und setzte seine goldrandige Lesebrille ab. »Ich bin wirklich gespannt, wie sie den lieben Kollegen das tatsächliche Alter der Fundamente im Tlacolula-Tal beigebracht hat.« Er lächelte beim Gedanken daran, dass gewisse Herren mit ihren viel zu hastig veröffentlichten National-Geographic -Artikeln ziemlich dumm dagestanden haben mussten.
    »Schonend war es jedenfalls nicht. Sie hat alle Geschütze aufgefahren. Ihre Analysen sind hieb- und stichfest.«
    »Ich hoffe, sie stößt sich ihre Hörner nicht zu früh ab. Ihre Arbeit ist tadellos und ihr Engagement bewundernswert.«
    Carsten durchsuchte seine Unterlagen und zog einiges hervor. »Ja, wäre schade, wenn sie in Teufels Küche geriete.«
    »Das wird sie sicherlich. Aber wenn sie gestärkt herauskommt, dann hat es sich für sie gelohnt, nicht wahr?«
    »Hier sind die Folien und die Rede ihrer Vorlesung. Außerdem habe ich noch zwei Briefe und einen Artikel, der Sie besonders interessieren dürfte.«
    Peter Lavell nahm die Papiere entgegen und überflog sie. »Was für einen Artikel?«
    »Aus der neuen Ausgabe der Colloquium medii aevi. «
    »Klingt wie eine studentische Gazette. Sollte ich die kennen?«
    »Es ist eine online erscheinende Zeitschrift mit wissenschaftlichen Rezensionen und Aufsätzen. Ihr Bekannter, Dr. Paulson, schreibt darin über
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