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Priester und Detektiv

Priester und Detektiv

Titel: Priester und Detektiv
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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hatte, wie er sich zu rühmen pflegte, keine Nerven. Doch wenngleich der Zug oft das Haus hatte erbeben lassen, an diesem Morgen waren die Rollen vertauscht, es war das Haus, welches dem Zuge einen Stoß versetzte.
    Die Lokomotive wälzte sich langsam heran und hielt gerade an dem Punkte, wo eine Ecke des Hauses bis zu dem steilen Rasenabhang vorstieß. Das Anhalten fast alles Mechanischen vollzieht sich langsam, doch war die lebende Ursache hier eine sehr rasche. Ein Mann, vollständig in Schwarz gekleidet und wie man bemerkte, sogar in schwarzen Handschuhen, erschien auf dem Damm oberhalb der Maschine und winkte wie eine düstere Windmühle mit seinen schwarzen Händen ab. Das allein hätte allerdings kaum einen selbst langsam fahrenden Zug zum Anhalten gebracht. Doch ging ein Schrei von ihm aus, von dem man später als von etwas gänzlich Unnatürlichem und nie Gehörtem noch sprach. Es war einer jener hervorgestoßenen Schreie, die, selbst wenn wir nicht hören können, was ausgerufen wird, dennoch so furchtbar deutlich sind. In diesem Falle lautete er »Mord«!
    Doch der Zugführer schwört, er würde auch dann gebremst haben, wenn er nur den schrecklichen und unverkennbaren Ton und nicht das Wort vernommen hätte.
    Nachdem der Zug einmal zum Stehen gekommen war, konnte selbst der oberflächlichste Blick vieler Bestandteile des Dramas gewahr werden. Der Mann in Schwarz auf dem grünen Rasen war Sir Aaron Armstrongs Diener, Magnus. Oft hatte der Baron in seiner frohen Laune sich über die schwarzen Handschuhe dieses mürrischen Dieners lustig gemacht; in diesem Augenblicke jedoch lachte gewiß niemand darüber.
    Die ersten paar Neugierigen hatten kaum den Bahndamm und die rauchgeschwärzten Büsche überschritten, als sie den fast bis zum Fuße des Dammes herabgerollten Körper eines alten Mannes in gelbem, scharlachgefüttertem Schlafrock erblickten. Ein Stück Strick schien sich um sein Bein verwickelt zu haben, vielleicht infolge eines Kampfes. Es gab auch ein paar, wenngleich sehr kleine Blutspritzer, der Körper aber war in einer Stellung zusammengebogen oder gebrochen, die für ein lebendes Wesen unmöglich gewesen wäre. Es war Sir Aaron Armstrong. Nach einigen Augenblicken der Verwirrung tauchte ein kräftiger Mann mit blondem Barte auf, den ein paar Fahrgäste als den Sekretär des verstorbenen, Patrick Royce, erkannten, einst eine bekannte Figur der Bohème und sogar berühmt in bohèmischer Kunst. In abgeschwächteren, aber vielleicht klarer verständlichen Tönen gab er den Angstschrei des Dieners zurück. Als dann die dritte Gestalt dieses Haushaltes, Alice Armstrong, die Tochter des Verstorbenen, wankend und zitternd in den Garten heraustrat, hatte der Zugführer dem Halten seines Zuges halt geboten. Ein Pfiff ertönte und der Zug war davon gestampft, von der nächsten Station Hilfe zu holen.
    So war denn auf Verlangen des kräftigen Ex-Bohèmien und Sekretärs, Patrick Royce, Father Brown eilends herbeigerufen worden. Royce war von Geburt Ire und von jener nicht seltenen Sorte von Katholiken, die sich ihrer Religion erst dann erinnern, wenn sie wirklich einmal erst in der Klemme stecken. Royces Bitte hätte jedoch vielleicht weniger schnell Gehör gefunden, wenn nicht einer der beamteten Geheimpolizisten ein Freund und Bewunderer des unbeamteten Flambeau gewesen wäre; und man konnte unmöglich ein Freund Flambeaus sein, ohne zahllose Geschichten über Father Brown gehört zu haben. Während daher der junge Geheimpolizist (er hieß Merton) den kleinen Priester über die Felder zur Station geleitete, war ihre Unterhaltung dennoch vertraulicher als man von zwei sich gänzlich Fremden erwarten konnte.
    »So weit ich sehen kann,« gestand Merton aufrichtig, »kann man überhaupt nicht daraus klug werden. Es ist niemand da, auf den man Verdacht haben könnte. Magnus ist ein umständlicher, alter Narr, zu sehr Narr, um Mörder zu sein, Royce war seit Jahren des Barons bester Freund, und zweifellos, seine Tochter betete ihn an. Überdies ist alles viel zu absurd, wer sollte einen so frohgesinnten alten Burschen wie Armstrong umbringen? Wer könnte Hand an die Kehle eines Nachtisch-Redners legen? Es wäre, als wollte man Knecht Ruprecht ermorden.«
    »Ja, es ging fröhlich her in diesem Hause,« stimmte Father Brown bei. »Es ging fröhlich her solange er am Leben war. Glauben Sie, es wird auch so sein, jetzt, da er tot ist?«
    Merton blieb ein wenig stehen und blickte seinen Begleiter aufmerksam an.
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