Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Priester und Detektiv

Priester und Detektiv

Titel: Priester und Detektiv
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
Vom Netzwerk:
»Jetzt, da er tot ist?« wiederholte er.
    »Ja,« fuhr der Priester unbekümmert fort, »er war heiter. Aber teilte er seine Heiterkeit anderen mit? Offen gestanden, war außer ihm jemals noch irgend jemand anderer im Hause heiter?«
    In Mertons Denkvermögen begann jenes sonderbare Licht der Überraschung aufzuleuchten, durch welches wir zum erstenmal Dinge sehen, die wir schon längst gewußt haben. Oft war er wegen unbedeutender, den Menschenfreund angehenden Amtsangelegenheiten bei den Armstrongs gewesen, und jetzt erst fiel ihm ein, es war an und für sich ein niederdrückend stimmendes Haus. Die Zimmer waren sehr hoch und sehr kalt, die Ausstattung dürftig und gewöhnlich, die zugigen Treppenflure wiesen elektrisches Licht auf, düsterer als der Mond. Und obwohl des Alten frischrotes Gesicht und silberner Bart wie ein Freudenfeuer der Reihe nach durch die Zimmer und Gänge geleuchtet hatten, es blieb darum keine Wärme zurück. Zweifellos hing diese geisterhafte Ungemütlichkeit des Hauses teilweise eben mit der Lebenskraft und dem Überschwange seines Besitzers zusammen; er brauchte weder Ofen noch Lampen, pflegte er zu sagen, sondern trug seine eigene Wärme in sich. Aber als Merton an die anderen Insassen dachte, mußte er zugeben, daß auch sie gleichsam Schatten ihres Herrn waren. Schon der mürrische Diener mit seinen Ungetümen von schwarzen Handschuhen sah aus wie ein böser Traum; Royce, der Sekretär, war greifbar genug, ein Riesenkerl in Lodenanzug und kurzem Bart. Aber der strohfarbene Bart war wie der Loden bedenklich mit grauen Fäden durchzogen und die breite Stirne von vorzeitigen Runzeln durchfurcht. Er war auch ganz gutmütig, jedoch von einer fast traurigen Gutmütigkeit eines etwa gebrochenen Herzens, er hatte so etwas an sich wie von einem verfehlten Leben. Was Armstrongs Tochter betraf, so schien es fast unglaublich, daß sie seine Tochter sei, so bleich an Farbe und zart von Gestalt war sie. Ihre Bewegungen zeichneten sich durch Vollendung aus, doch ihre ganze Gestalt durchbebte ein Zittern, das an Espenlaub erinnerte. Merton hatte sich manchmal gefragt, ob das Poltern des vorüberfahrenden Zuges bei ihr das Zittern verursachte.
    »Sie verstehen,« sagte Father Brown bescheiden blinzelnd, »ich bin nicht sicher, ob Armstrongs Heiterkeit wirklich so erheiternd ist – für andere. Sie meinen, niemand vermöchte einen so glücklichen, alten Mann zu ermorden, aber ich weiß nicht, ne nos inducas in tentationem. Wenn ich je jemanden ermorden sollte,« fügte er ganz einfach hinzu, »glaube ich, würde es ein Optimist sein.«
    »Weshalb?« rief Merton belustigt. »Glauben Sie, die Leute lieben Heiterkeit nicht?«
    »Die Leute lieben öfteres Lachen,« antwortete Father Brown, »aber ich glaube nicht, daß ihnen ein fortwährendes Lächeln gefällt. Heiterkeit ohne Humor ist eine sehr mißliche Sache.«
    Sie schritten schweigend ein Stück auf dem längs des Geleises sich hinziehenden Rasen entlang und gerade als sie in den langgestreckten Schatten des hohen Armstrongschen Hauses traten, bemerkte Father Brown plötzlich, wie jemand, der mehr einen unangenehmen Gedanken von sich werfen, anstatt ihn ernsthaft aufwerfen will: »Freilich, Trinken an sich ist weder gut noch schlecht. Doch ich weiß nicht, ich habe manchmal das Gefühl, daß Leute wie Armstrong gelegentlich eines Glases Wein bedürfen, um ihre Stimmung niederzuhalten.«
    Mertons amtlicher Vorgesetzter, ein ergrauter und erfahrener Detektiv namens Gilder stand auf dem grünen Hafendamm und erwartete den Kronrichter, während er mit Patrick Royce sprach, dessen breite Schultern und struppiger Bart und Haare ihn überragten. Dies trat um so mehr hervor, als Royce immer wie unter einer schweren Last bedrückt einherging und seine kleinen Pflichten als Sekretär und Untergebener mit einer Art Schwerfälligkeit und Ergebung zu erfüllen schien, etwa wie ein Stier, der einen Handwagen zieht.
    Mit ungewöhnlicher Freude erhob er sein Haupt, als er den Priester gewahrte, und er führte ihn einige Schritte beiseite. Inzwischen wandte sich Merton zwar ehrerbietig, aber doch nicht ohne eine gewisse knabenhafte Ungeduld an den anderen Detektiv.
    »Nun, Mr. Gilder, haben Sie das Rätsel weiter gelöst?«
    »Es gibt kein Rätsel,« erwiderte Gilder, während er unter schweren Augenlidern an dem hohen Bau emporblickte.
    »Nun, mir ist es jedenfalls eines,« gab Merton lächelnd zurück.
    »Es ist einfach genug, mein Junge,« meinte der bejahrte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher