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Prickel

Prickel

Titel: Prickel
Autoren: Jörg Juretzka
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denn alle beide nur doof?« Mauliges, gemurmeltes Herumgedruckse antwortete ihm.
    Ich sah mir Peter Schlothens Foto an. Das erwartete Dutzendgesicht mit dem üblichen Bullenschnäuzer. Ich steckte es in die Tasche. Als nächstes nahm ich mir das fehlerfrei mit der Maschine geschriebene, ordentlich geheftete und minutiös ausgeführte Dokument der Unfähigkeit vor, als das sich die Berichte meines Konkurrenten gewöhnlich herausstellten. Nein, auch dieses Exemplar sollte mich nicht enttäuschen. Noch nicht mal halb durch, und ich war dem Einnicken nahe. Mein Gott, was für eine Öde! Daten, Uhrzeiten, (von ... bis ... ), Daten, Uhrzeiten, selbst die Pausenzeiten waren präzise angegeben. Jeden Morgen von neun bis halb zehn Frühstück, jeden Mittag .
    Mein Magen knurrte. Ich hatte selbst noch kein Frühstück gehabt.
    Hastig überflog ich den Rest. >Objekt observiert< tauchte wohl hundertfünfzigmal auf. >Objekt Uhlandstraße 43 observiert<, und dann, als könne man nicht beides gleichzeitig, auch noch >Objekt Uhlandstraße 47 observiert<. Furchtbar. Ansonsten hatte er praktisch nichts unternommen. Den Wirt an der Ecke befragt, gut, zwei oder drei Nachbarn interviewt, auch gut. Sehr aufschlußreiche Antworten erhalten: >Schon länger nicht mehr gesehen< war der Konsens. Ansonsten hatte er vierzehn Tage lang mehr oder weniger zäh auf seinem Arsch gesessen.
    Ein unbemanntes Kastell in einem wegelosen Teil der Wüste gelegen, Relikt eines Krieges, an den sich niemand mehr erinnern kann - das zu bewachen, meine ich manchmal, wäre der ideale Job für Jochen Fuchs.
    Blaue Augen werden gerne mit Kühle, Kälte, Frost in Verbindung gebracht. Die Augen von Det (so hatte er sich vorgestellt: >Nenn mich Det<, und hatte mich am Arm mitgezerrt Richtung Bahnhof), waren blau, sehr blau sogar, aber sie waren nicht kalt.
    Sie waren heiß. Heiß und stechend und blau wie die Flamme eines Schneidbrenners. Und er wußte das. Denke ich. Denn er trug eigentlich immer dunkle Sonnenbrillen. Doch in diesem einen Augenblick hatte er keine aufgehabt, und ich hatte diesen Blick gesehen, und alles, was später passieren sollte, hätte mich eigentlich nicht mehr überraschen dürfen.
    Det zog mich mit sich, zum Bahnhof, und da aßen wir eine Currywurst im Stehen, und Det hatte zwei Biere dazu. Ich eine Cola. Die ganze Zeit sprach er mit mir, schnell und seltsam leise und vertraulich, augenzwinkernd, sozusagen. Daß ich nicht antwortete, weil ich nicht mitkam, schien ihm nicht aufzufallen. Zumindest schien es ihn nicht zu stören. Das ist selten. Leute, die nicht schon nach zwei Minuten >Sag doch auch mal was< zu einem sagen, trifft man nicht alle Tage.
    Und ich kann heute darüber nachdenken soviel ich will, aber ich habe nicht ein Wort von dem, was er so redete, behalten. Weil, es war alles belangloses Zeug. Doch damit lullte er einen angenehm ein, so wie die Musik im Supermarkt.
    Nach einiger Zeit trennten wir uns, und ich ging heim und weiß noch, daß ich mich fragte, ob ich diesen seltsamen Typen wohl jemals wiedersehen würde. Es waren gemischte Gefühle, mit denen ich mich das fragte.
    Mit leerem Magen bin ich reizbar. Ich mußte ein wenig grob werden, damit mir Frau Blomke den Scheck aushändigte, und ich mußte ein wenig laut werden, damit man ihn mir bei der Sparkasse einlöste, und dann meinte sich auch noch eine fette Mutter mit drei widerwärtigen, sabbernden Blagen und einer ellenlangen Bestellung bei McDonald's vordrängen zu können, was mich zum drittenmal dazu zwang, die Stimme zu heben. Kurz und gut, erst als ich mummelnd und schlürfend draußen in der Sonne saß, kam ich allmählich wieder runter und zum Nachdenken.
    Über zwei Hamburgern und zwei Kaffee versuchte ich, mich in Peter Schlothmann hineinzuversetzen. Polizist, mittelalter Junggeselle, noch halb bei den Eltern wohnend, kein Wort in dem, was ich gerade durchgeackert hatte, über eine Freundin -wo geht so einer hin, wenn er sich vor etwas drücken will? Was macht so einer in seiner Freizeit? Hmhmhmmm .
    Ehrlich, ich will hier nicht strunzen, aber ich habe so meine Momente.
    Die Hamburger noch halb in den Zähnen, den zweiten Kaffee in der Hand, machte ich mich auf die Socken und stand ein paar Minuten später vor der Übersichtstafel unseres Rathauses.
    Da! Vereinsregister. Zimmer . Nummer . Flügel . Aufgang . Gut, daß ich inzwischen gefrühstückt hatte.
    Am Ende einer kafkaesken Odyssee durch ein frisch gebohnertes Labyrinth klopfte ich an und ließ mich ein.
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