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Prickel

Prickel

Titel: Prickel
Autoren: Jörg Juretzka
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Das Büro war klein, beherbergte aber trotzdem zwei Schreibtische, die sich in der Mitte des Raumes gegenüberstanden. An beiden saß je eine junge Frau. Die zur Linken war leicht gebräunt und leicht getönt und in strahlendes Weiß und leuchtende Farben gewandet, mit einem jugendlichen Pferdeschwanz und einem sportlichen Stirnband geschmückt und schien direkt einem Spot für Weichspüler oder Slipeinlagen oder leicht schmeckende Schokolade entstiegen zu sein. Davon abgesehen, war sie gar nicht mal häßlich. Sie drehte mir ihren Ausschnitt zu, und sie beugte sich ein bißchen vor, und sie zeigte mir auch so gut wie alle ihre kleinen, perlweißen Zähne und fragte: »Ja, bitte?«
    Ihr gegenüber hockte ein feister Trampel in einem ollen, selbstgestrickten, grüngrauen Kartoffelsack von einem Pulli, das strähnige Haar offen und ungekämmt und beidseitig des Scheitels glänzend wie die Fußböden der Rathausgänge. Vor ihr auf dem Schreibtisch lag >Emma< und daneben eine angefangene Schachtel Pralinen. Den Deckel hatte sie, mit der Abgeklärtheit, die einen nach der zirka achtzigsten abgebrochenen Diät überkommt, bereits weggeschmissen. Sie linste mich mit einem Auge kurz von oben bis unten an, schnaubte resigniert, schlug die Emma auf und griff nach einer Praline.
    Es war eine Entscheidung von weniger als einer MilliSekunde. Ich schnappte mir einen Stuhl, fragte »Darf ich?«, zauberte mein schüchternstes Lächeln auf meine Züge und setzte mich zu der Dicken.
    »Ich hätte da eine Bitte .«, begann ich sanft.
    Sie ließ mir Zeit, bei der Füllung der erst halb zerkauten Praline in ihrem baff offenstehenden Mund auf >Marzipan< zu tippen und >Maria Strunck< von ihrem Namensschildchen zwei Handbreit tiefer abzulesen, bevor sie sich einen Ruck gab, eine durchaus freudig überraschte Miene aufsetzte und mich mit einem etwas undeutlichen »Schüüffen Wie lof« zum Weiterreden ermunterte. Was ich tat.
    Doch, alas! Wie so oft in der Zusammenarbeit mit den Behörden, hatte ich mir alles etwas zu unproblematisch vorgestellt. Einfach nur >Peter Schlothen< in den Computer eingeben und den dann herausfinden lassen, ob, und wenn ja, welchem Verein der angehörte, - das ging schon. Theoretisch. Bloß nicht für Privatpersonen. Selbst dann nicht, wenn diese anführten, es sei aber wichtig.
    »Datenschutz«, sagte Maria Strunck und zuckte die Achseln. »Das einzige, was ich Ihnen in dem Fall raten kann, ist, sich an unseren Vorgesetzten zu wenden, einen Herrn Klamm. Vielleicht kann der etwas für Sie tun. Wir -« und sie deutete mit dem Kinn und einem vielsagenden Blick auf ihre Kollegin, die eine Akte zu studieren vorgab, »dürfen das nicht.«
    >Klamm<, dachte ich. Irgendwie kein optimistisch stimmender Name.
    »Warten Sie«, meinte sie noch, als ich mich schon erheben wollte, und kritzelte etwas auf einen Block, »ich schreib Ihnen seine Zimmernummer und die Durchwahl auf. Am besten rufen Sie vorher an. Er ist sehr beschäftigt.«
    Ich bedankte mich höflich und ging. Draußen auf dem Gang las ich mir den Zettel durch.
    >Kantine, 3. Etage<, stand da, >14:30<.
    14:30. Das ließ mir fast zwei Stunden Zeit. Geld hatte ich auch, also was sprach dagegen, die Carina auszulösen? Nichts. Die Sonne schien, es war warm, und die ganze Innenstadt wimmelte vor einander umgurrenden Teenies, die sich allesamt einen Dreck darum scherten, daß ich mit gebrochenem Herzen einhertrottete. Na, recht hatten sie.
    Ich schlurfte über die Schloßbrücke. Auf einer Kiesinsel im Fluß hockten zwei Kormorane und trockneten ihre ausgebreiteten Flügel. Kormorane! Echt, die Ruhr macht sich.
    Am nächsten Morgen tat mir alles weh, und im Spiegel gefiel ich mir gar nicht. Meine Nase war dick und rot, und ich hatte verschiedene Schrammen im Gesicht. Ich fand, ich sah aus wie ein Säufer nach einer Kneipenschlägerei. Dabei trinke ich nie Alkohol. Niemals.
    Um es nicht noch schlimmer zu machen, habe ich meine Anziehsachen besonders sorgfältig ausgewählt. Noch mal über die Hose gebügelt. Die Schuhe geputzt. Schließlich noch die Haare gekämmt. Erst dann bin ich mit der schmutzigen Wäsche der Vortage unterm Arm aufgebrochen zum Automatenwaschsalon.
    Unterwegs holte ich mir beim Bäcker drei Stütchen und eine Flasche Kakao. So konnte ich in Ruhe frühstücken, dabei schön im Warmen sitzen und der Wäsche beim Gewaschenwerden zugucken.
    Ich bin schreckhaft. Sehr. Alles war mir in den Dreck gefallen, die Wäsche, die Stütchen, der Kakao, nur weil mir
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