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PR Odyssee 03 - Das Energie-Riff

PR Odyssee 03 - Das Energie-Riff

Titel: PR Odyssee 03 - Das Energie-Riff
Autoren: Hans Kneifel
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Haar und geschlossenen Augen, der noch seine halbhohen Stiefel und beschmutzte, fremdartige Kleidung trug. Die Ärmel seiner dunkelblauen Jacke waren hochgekrempelt, aber Tasha sah goldfarbene Zierstreifen, offenbar in den teuren Stoff eingewebt, ebenso an den Außenseiten der zerknitterten Hosenbeine. Am linken Arm hatte er eine hässliche, große Wunde, die von einem Überschlagblitz oder einer starken Verbrennung stammte. Sie war von Schmutz, grauem Schmierfett aus dem Schiff, einer Schicht geronnenen Blutes und einigen Hundert wimmelnder Schmeißfliegen mit metallisch glänzenden Flügeln bedeckt.
    »Die Nacht dauert zehn Stunden«, rief Tasha den Deportierten hinterher. »Am Morgen erfahrt ihr mehr. Legt euch auf Sand, der trocken bleibt«. Die Zeit wurde nach der Länge der Schatten gemessen. Es gab keinen einzigen Gefangenen, der eine Uhr besaß. Sie ließ die Schultern sinken. Der Lärm von jenseits des Energiezaunes bewies ihr, dass sie sich nicht irrte. Im Mittelteil der Insel, auf felsigem Untergrund, stand der zerschrammte Frachter, entlud tonnenweise Versorgungsgüter, nahm vielleicht einige kranke Wärter auf und wurde von den Aufsehern mit den Kühlkisten voller Schwämme beladen. Frische, tiefgekühlte Clezmor-Schwämme, eine Delikatesse für Reiche, die aber als Nahrung für die Taucher tödlich war, denn die Gefangenen verfügten nicht über die fermentierten Gegengifte, die erst den Genuß ermöglichten.
    Draynare, die Sonne Pemburs, schob sich hinter die
    Wolken. Tasha hatte noch die Hälfte ihres Wasservorrats und zwei angebrochene Nahrungs-Konzentratriegel. Der warm gewordene Liquitainer, von Wächtern und Deportierten Durstbeutel genannt, ein schwarzgelber, praktisch unzerstörbarer Plastiksack von etwa eineinhalb Litern Inhalt, mit Verschluss und Kordel, hing an ihrem Gürtel, die Riegel steckten zerbröselnd in einer Schenkeltasche.
    »Wird Zeit für ein Nachtlager«, murmelte sie. Niemand würde sie anrühren. Unter den Todgeweihten hatte sie den Status einer Auserwählten, deren Gesundheit selbst durch monatelanges Todeslager nicht angegriffen worden war. Einige hielten sie für die passende Anführerin, aber wofür oder wogegen sollte sie hilflose Deportierte anführen?
    Morgen müssen wir wahrscheinlich wieder viele Tote zur Brandung schleppen.
    Der Gezeitensumpf umgab den festen Kern der Insel wie ein unregelmäßig breiter Kreisring. Ausgedehnte Senken, wenige Felsen und Schotterbetten, wirre Sandzungen und Priele unterbrachen den Morast und die Flächen des Tidensumpfes, der regelmässig überflutet wurde und bis zur Brandung reichte.
    Die Frauen und Männer nahezu jeden Alters, ausnahmslos Nodronen, vegetierten, litten und starben rund um Pembur-Station, eingepfercht zwischen dem Energie-Riff und dem offenen Meer, in dem sie nach den Schwämmen tauchten und von Raubtauchern und Magnoraunden angegriffen, verwundet, verschlungen und getötet wurden. Es gab zwischen den Ausgesetzten unzählige Tragödien, verzweifelte Liebespaare, stoische alte Männer, die sich mit dem langsamen Tod gut angefreundet hatten, Prostitution um Wasser und Nahrungsriegel, vielleicht auch Totschlag - aber in der langen Zeit, in der Tasha von Nachtlager zu Nachtlager dreimal Pembur-Eiland umrundet hatte, erfuhr sie nichts von Menschenfresserei. Es ist undenkbar, für mich in jedem Fall unvorstellbar, dachte sie, dass sich stolze Rebellen gegenseitig auffressen.
    Tasha Feori blieb auf einem schmalen, vier Handbreit hohen Sandstreifen stehen, der in dieser Nacht nicht überflutet werden würde. Die Geräusche der Verladearbeiten klangen leise und undeutlich hinter dem Energie-Riff hervor. Bis zum Eintreffen der Flut und zum Steigen des Wassers hatten die Deportierten genug Zeit, über ihr Schicksal nachzudenken, miteinander zu reden und großartige, nutzlose Fluchtpläne zu entwickeln oder auf den fernen Zeitpunkt der Rehabilitierung zu warten. Beim ersten Tageslicht begann das verzweifelte Tauchen nach den Schwämmen. Tasha setzte sich, scharrte Vertiefungen und häufte kleine Hügel aus dem salzgetränkten feuchten Korallensand auf, kaute einen Brocken des Nahrungsriegels und nahm einen winzigen Schluck Wasser. Sie verschloss den Durstbeutel mit besonderer Sorgfalt.
    Farbschleier und Wolkenballungen verdeckten die glühende Scheibe Draynares, als die Sonne unterging. Das Zwielicht der Dämmerung über dem Meer dauerte nur wenige Atemzüge lang. Plötzlich flogen sämtliche Insekten auf; ein riesiges Summen von
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