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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Mitarbeiterinnen
bereits hinter den Computern und wälzen sich durch
Aktenordnerberge. Kaum sitzt sie hinter dem Schreibtisch, klingelt
schon das Telefon.
    »Steuerbüro
Ørsted, moin, moin!«
    »Hallo Petra!
Hanna hier, du musst heute Abend unbedingt in den neuen Laden
kommen, in dem das Museum eingerichtet werden soll! Ich starte
gerade einen Rundruf. Es gibt noch einiges zu organisieren, bevor
es morgen Abend wieder losgeht. Uns wächst die Arbeit jetzt
schon über den Kopf.«    
    Die unterschwellig
fordernde Stimme ihrer Freundin bringt Petra Ørsted
endgültig aus der Fassung. Ihr schießen Tränen in
die Augen, und sie schluchzt.
    »Hallo Petra?
Bist du noch da?«
    »Natürlich
bin ich noch da«, antwortet sie wieder gefasst. »Mir
geht’s im Moment einfach nicht so gut, Hanna, rasende
Kopfschmerzen.«
    »Das tut mir
leid, aber kannst du nicht einfach zwei Aspirin nehmen? Du musst
unbedingt kommen. Dr. Kevele aus der Kulturabteilung der Kieler
Staatskanzlei hat sich zur Eröffnung des Festivals
angesagt.«
    »Könnt ihr
nicht diesen Abend ohne mich auskommen?«
    »Petra, du
kannst mich nicht hängen lassen!«
    »Ich finde, du
setzt mich ganz schön unter Druck, Hanna! Aber gut, dir
zuliebe versuche ich es einzurichten.«
    »Wir sind doch
langjährige Freundinnen, natürlich können wir offen
miteinander reden! Und wenn wir schon mal dabei sind, möchte
ich auch mit meiner Kritik nicht hinterm Berg halten. Versteh das
bitte nicht falsch, aber du hast dich im Vorfeld der
diesjährigen Organisation auch nicht besonders fair verhalten,
meine Liebe!«
    »Was soll das
denn nun heißen?«
    »Ich sage nur,
das Schnipp-Schnappmaul-Puppentheater!«
    »Also, Hanna,
jetzt nicht das schon wieder. Ich weiß bis heute nicht, was
du gegen dieses hervorragende Puppentheater einzuwenden hast.
Wiktor Šemik gehört zu den international
renommiertesten Puppenspielern.«
    »Eben, und
deshalb verlangt er auch einen renommierten Preis für seine
werte Anwesenheit. Dafür könnten wir drei andere
Puppentheater auf unser Festival einladen.«
    »Gut, Hanna, ich
will mich nicht mit dir streiten. Ich schmeiß mir ´ne
Aspirin rein und komm nach Feierabend, obwohl ich mir immerhin
schon die gesamte nächste Woche für das Festival
freigehalten hab.«
    *
    »Was meint ihr
wohl, warum die Griechen schon vor 2500 Jahren das Wollen in den
Mittelpunkt ihrer Ethik gestellt haben?«, fragt Hanna
Lechner, während sie langsam vor ihrer Klasse auf und ab geht.
Die letzte Viertelstunde ist immer die schwierigste. Kaum einer der
Schüler sucht noch Blickkontakt mit der Lehrerin. Die meisten
der Jungen hängen bereits in Hab-Acht-Stellung auf ihren
Stühlen, und die Mädchen schieben sich gegenseitig kleine
Zettel zu.
    »Normalerweise
wird bei moralischen Fragen, und eure Lehrerin macht da keine
Ausnahme, meistens vom Sollen gesprochen und nicht vom Wollen. Du
sollst nicht stehlen! Keiner würde sagen, du wirst es doch
nicht wollen, dass du zum Dieb wirst, oder? Hallo, hört hier
noch jemand zu? Ihr sollt dem Unterricht aufmerksam folgen, bis die
Stunde vorbei ist.«
    Niemand scheint ihren
gezielten Scherz zur Kenntnis zu nehmen. Hanna Lechner ahnt, dass
sie persönlicher werden muss und schreitet seitwärts an
den Tischen vorbei.
    »Auch wenn du es
möglicherweise gar nicht willst, bist du dem Moralbegriff der
Griechen im Moment wesentlich näher, als du denkst, wenn du
denn denkst! Oder sollte das etwa nicht so sein,
Peter?«
    Der Angesprochene
sitzt plötzlich kerzengerade, hebt den Kopf und schaut mit
angestrengtem Blick zur Decke hinauf.
    »Du machst zu
meinem Bedauern mal wieder nicht das, was du sollst. Unser lieber
Peter macht eben nur das, was er will!«
    Der Junge grinst die
Lehrerin verlegen an, die sich mit ihrer robusten Gestalt vor
seinem Tisch aufgebaut hat.
    »Wenn du das vor
der Klasse schon so eindrucksvoll demonstrierst, kannst du mir
bestimmt auch sagen, warum der Satz: Ich tue, was ich will nur eine
Redensart ist.«
    »Eine Redensart?
Keinen blassen Schimmer!«, entgegnet der Schüler
trotzig.
    »Denk nach, ich
bleibe hier stehen, bis ich was Brauchbares
höre!«
    »Ich tue, was
ich will? Eine Redensart? Jeder Normalo macht nur das, was er
will!«
    »Wenn das
wirklich so wäre, würde ich die Frage stellen: Warum will
der Mensch denn etwas?«, wirft Hanna Lechner ein und nimmt
mit Genugtuung wahr, dass die Aufmerksamkeit in der Klasse
wiederhergestellt ist.
    »Weil alle nur
das tun wollen, wozu sie Lust haben!«, ruft ein
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