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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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brachte er die Herde zum Schweigen.
»Es gibt keinen Grund, ausgelassen zu sein!«
    »Wieso denn
nicht?«, riefen einige junge Widder. »Der Wolf ist doch
tot! Wovor sollen wir noch Angst haben?«
    »Richtig!«,
blökte die Gruppe Mutterschafe zustimmend. »Warum sollen
wir Angst haben?«
    »Weil der
böse Wolf ein sehr, sehr alter Wolf war!«, antwortete
der weise Widder mit eindringlicher Stimme. »Die alten
Wölfe leben meistens einsam und allein, weit, weit entfernt
vom nächsten Rudel. Sie haben das eigene Revier mit ihrer
Duftmarke markiert. Kein Wolf aus einem Rudel würde sich auch
nur in seine Nähe trauen. Doch jetzt gibt es unseren Wolf
nicht mehr, also gibt es auch sein Revier nicht mehr, in das sich
kein anderer Wolf hineintraut!«
    »Blääh,
Blöök, Blääblöök!«, tönte
es wild durcheinander aus der Herde. Dann wurde es
mucksmäuschenstill. Die meisten Schafe standen unbeweglich,
mit weit aufgerissenen Augen und zitterten am ganzen
Leib.
    »Hast du schon
einen dieser Wölfe gesehen, die in so einem Rudel
leben?«, fragte ein Schaf vorsichtig.
    »Nein«,
antwortete der Widder laut, »aber das sagt noch gar nichts.
Ihr müsst ab heute immer auf der Hut sein. Die Gefahr lauert
überall und das zu jeder Zeit, egal ob am Tag oder in der
Nacht.«
    In dieser Nacht
schlief das kleinste Schaf der Welt das erste Mal in seinem Leben
sehr unruhig. Es träumte von der großen Versammlung am
Abend. Es sah den mächtigen Kopf des weisen Widders direkt vor
seinen Augen, sah seine gedrehten Hörner, deren spitze Enden
ihm bis zur Nase reichten, sah seine riesige Schnauze mit den
gelben Zähnen, die unentwegt Worte absonderte, die allen in
der Herde Angst einjagten. Seba konnte zwar nicht so richtig
verstehen, was der weise Widder ihnen alles gesagt hatte, doch er
war trotzdem überaus beeindruckt. Er wünschte sich, dass
die Herde auch einmal so ehrfurchtsvoll zu ihm aufblicken
würde. Und wenn das nicht, dann sollten alle zumindest einmal
von Seba, dem schrecklichsten Schaf der Welt, so richtig in Angst
und Schrecken versetzt werden.
    Als das kleinste Schaf
der Welt am nächsten Morgen aufwachte, hatte es für sich
beschlossen, ab heute nicht mehr das kleinste Schaf der Welt zu
sein. Nachdem es zum Frühstück mit Mutter Lotte ausgiebig
gegrast hatte, schlenderte es entschlossen zu den anderen
Lämmern hinüber.
    »Hey, guckt
mal«, sagte das älteste der Lämmer, »da kommt
unser zerbrechliches Stöckelbeinchen!«
    »Passt
bloß auf, dass ihr unserem empfindlichen Wesen nicht aus
Versehen gegen die Wolle stoßt!«, stichelte das
nächste Lamm.
    »Genau, sonst
fällt das kleine Knäuel noch auf seine zierliche
Schafsschnute!«
    »Na, ihr
aufgeblasenen Blökwolle!«, entgegnete Seba
spöttisch. Er hatte sich seine Worte genau überlegt. Sie
verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Jungschafe waren sprachlos und
guckten ziemlich belämmert.
    »Wo ist denn mit
einmal euer stupides Geplärre geblieben?«
    »Du hältst
dich wohl für besonders stark«, tönte das
Älteste und rannte Seba mit voller Wucht in die Flanke. Das
kleinste Schaf der Welt stürzte zur Seite, rollte, indem es
sich mehrmals überschlug, einen Hügel hinab und blieb auf
dem Rücken liegen. Von oben hörte es das wilde
Geblöke der Lämmer, von denen einige ausgelassen in die
Luft sprangen.
    »Na wartet, das
werdet ihr noch bereuen!«, rief Seba zu ihnen hinauf. Vom
Hügel tönte ein wieherndes
»Bläähäähäähää«
zurück. Das kleinste Schaf der Welt wartete so lange, bis die
Horde Lämmer nicht mehr zu sehen war. Dann schlich es
über den nächsten Hügel und den nächsten und
nächsten. Jetzt konnte es schon die großen, schwarzen
Bäume in der Ferne liegen sehen. Seba trottete zügig
weiter, bis er den Waldesrand erreicht hatte und blickte sich noch
einmal trotzig um. Weit und breit war niemand von der Herde zu
sehen. Er atmete einmal tief durch, nahm seinen ganzen Mut zusammen
und trat in den Wald hinein. Noch am Morgen, gleich nach dem
Aufwachen, war dieses Unternehmen dem kleinsten Schaf der Welt ganz
einfach erschienen. Doch der Wald war in Wirklichkeit viel
größer und viel, viel dunkler, als es sich dies vorher
in seinem kühnen Traum ausgemalt hatte. Die dicken Stämme
waren mit grünem Moos bewachsen und schauten unheilvoll auf
Seba herab. Er hätte am liebsten laut nach seiner Mama
gemäht, aber er wusste genau, dass ihn hier niemand mehr
hören würde. So guckte er ängstlich auf den Boden
und setzte tapfer einen Schritt vor den
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