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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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etwas
Vernichtendes. Ohne etwas zu sagen, war er im Badezimmer
verschwunden. Zehn Minuten später kam er mit finsterer Miene
die Treppe herab, setzte sich übertrieben langsam an den Tisch
und schlug theatralisch das Frühstücksei auf die
Tischplatte.
    »Ich kann deine
vorwurfsvollen Blicke nicht mehr ertragen«, sagte er mit
ruhiger Stimme, ohne dabei aufzublicken. »Was ist schon
großartig dabei, wenn man im Tiefschlaf aus Versehen gegen
den Wecker stößt und der
herunterfällt!«
    »Ich hab’
überhaupt nicht vorwurfsvoll geguckt. Wieso behauptest du so
was?«
    »Ich denke, ich
bin noch ganz gut in der Lage zu beurteilen, was vorwurfsvolle
Blicke sind!«
    »Du hast mich
doch noch nicht mal richtig angeguckt, seitdem du runtergekommen
bist!«
    »Meinst du etwa,
das wäre jetzt der richtige Moment, um einen Grundsatzstreit
vom Zaun zu brechen?«
    »Sag mir doch
einfach nur, was du an mir auszusetzen hast!«
    »Das ist ja mal
wieder typisch! Für dich bin ich gleich wieder an dieser
Situation schuld!«
    »Stimmt doch gar
nicht! Wann habe ich gesagt, dass du an irgendwas Schuld
hast?«
    »Du hast
schließlich gerade eben von mir verlangt, dass ich einfach
sage, was mir an dir nicht passt!«
    »Natürlich
sollten wir darüber reden, was zwischen uns nicht klappt. Noch
sind wir schließlich ein Paar!«
    »Das Wort Paar
stammt so was von aus der Mottenkiste!«
    »Was willst du
von mir? Was soll ich machen?«
    »Gar nichts! Es
gibt nicht für alles und jedes eine Lösung! Du willst nur
immer alles in meinem Leben kontrollieren!«
    Sie steuert den
schwarzen Volvo S 40 rasant aus der Einfahrt, tritt aufs Gas und
biegt an der nächsten Kreuzung mit quietschenden Reifen nach
links auf die Hauptstraße. Mit über 80 Stundenkilometern
prescht sie an dem kleinen Ort Padelackhallig vorbei und weiter
nach Finkhaus. Wenige Meter hinter dem Ortseingang prophezeit ihr
ein greller Blitz, dass demnächst wieder ein Strafmandat ins
Haus flattern wird. Sie drosselt sofort die Geschwindigkeit,
würde am liebsten lauthals ihren geballten Ärger diesem
schon verkorksten Tag entgegenbrüllen.
    So geht diese elende
Scheiße zu Hause nicht mehr weiter, denkt sie und kaut
nervös auf ihrer vorgestülpten Unterlippe. Ich kann nicht
ständig die Kinder vorschieben, um an dieser bescheuerten Ehe
festzuhalten. Er schert sich seit Jahren einen feuchten Kehricht um
die Kids. Es ist ihm sogar völlig schnuppe, wie die mit
unseren dauernden Streitereien zurechtkommen.
    Petra Ørsted
steuert den Volvo auf die nächste Tankstelle. Der Liter Diesel
kostet 88 Cent, was sie noch tiefer in ihren Ärger
treibt.
    »Das sind ja
über 1,70 in DM!«, flucht sie leise vor sich hin.
»Diese beknackte Euroumstellung!«
    An der Kasse ist
natürlich jemand ein Bruchteil schneller. Er fummelt
umständlich seine EC-Karte aus der Brieftasche. Der Mann
hinter dem Tresen zieht sie ohne Eile durch den Schlitz, druckt den
Kassenzettel aus und lässt ihn unterschreiben. Petra
Ørsted kaut nervös auf den Lippen. Als sie die
Tankstelle verlassen will, passiert gerade ein Getreidelaster die
Ausfahrt und schleppt eine Schlange von Pkws hinter sich her. Sie
wettert leise vor sich hin, trommelt ungeduldig aufs Lenkrad und
kann sich erst am Ende einreihen, von wo aus es nur im Schritttempo
vorangeht.    
    Petra Ørsted
hat noch 110 Stunden zu leben.
    Nach drei riskanten
Überholmanövern klebt sie am Heck des Anhängers.
Zwei Minuten später kriecht sie hinter dem Laster durch den
Innendeich des Südermarschkoogs. Die Silhouette von Husum
kommt ins Blickfeld. Rechts liegt der Windpark, die großen
Rotoren ziehen stoisch imaginäre Kreise in die Luft. Gleich
dahinter liegt die Kläranlage. Jetzt biegt der Laster links ab
in Richtung Außenhafen. Umrahmt von mehreren schmutziggrauen
Betonklötzen, ragt die weiße Getreidesiloanlage der
Raiffeisengenossenschaft aus der flachen Landschaft.
    Sie soll 1936 erbaut
worden sein. Während der Nazi-Zeit hieß das Gebäude
nur das Reichsnährstand-Silo, hatte ihr der
Geschäftsführer der Getreidehandelsfirma Asmussen einmal
erzählt. Die Firma Asmussen gehört mit zu ihren besten
Kunden.
    Den Rest der Strecke
legt sie fast im Tran zurück, unter der Eisenbahnbrücke
hindurch, rechts Poggenburgstraße, links
Herzog-Adolf-Straße. Schräg gegenüber vom Finanzamt
hält sie in der Einfahrt einer Backsteinvilla. Im Erdgeschoss
befindet sich ihr Steuerberatungsbüro. Als sie über den
Flur auf ihr Zimmer zusteuert, sitzen ihre beiden
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