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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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lässt.«
    Swensen wendet sich
demonstrativ zur Seite, bevor er das Gespräch entgegennimmt.
Maria Teske winkt aufgekratzt zu ihm herüber und rauscht
davon.
    »Herr Swensen,
hier bei mir in der Inspektion hat sich gerade ein gewisser
Sebastian Lechner gemeldet, der mit Ihnen sprechen
möchte«, hört er die Stimme von Paul Richter am
anderen Ende der Leitung.
    »Sagen Sie ihm,
ich bin in fünf Minuten da«, sagt Swensen. »Und
rufen Sie im Krankenhaus an, damit der Mann seine tote Mutter sehen
kann.«
    Als der Hauptkommissar
kurze Zeit später Sebastian Lechner von Angesicht zu Angesicht
gegenübertritt, kann er seinen Schock kaum verbergen. Der Mann
sieht Wiktor Šemik zum Verwechseln ähnlich, er ist eine
jüngere Ausgabe des Puppenspielers. Es gibt keinen Zweifel
mehr, Šemik ist sein Vater und hat seine Mutter erschossen.
Doch irgendetwas hält Swensen zurück, es dem jungen Mann
sofort zu sagen. Er fährt ihn zum Kreiskrankenhaus
hinüber und führt ihn in die Pathologie. Ein Mediziner im
grünen Schutzkittel bringt sie in den Raum, in dem die Leiche
von Hanna Lechner auf einem Sektionstisch aufgebahrt liegt. Es
riecht penetrant nach Formaldehyd und Faulgas. Als das Leinentuch
zurückgeschlagen wird, steht Sebastian Lechner eine lange Zeit
wie versteinert neben dem bleichen Kopf. Auf dem Rückweg
sprechen Swensen und er kein Wort. Der Hauptkommissar setzt den
Mann neben seinem geparkten Wagen am Bahnhof ab.
    »Wenn Sie noch
einen Moment warten, dann gebe ich Ihnen das Buch meiner
Mutter«, sagt Lechner beim Aussteigen, geht zu seinem Wagen
hinüber und kommt mit einem Buch mit rotem Einband
zurück.
    »Wegen dieser
Geschichten hat man Ihre Mutter umgebracht«, sagt
Swensen.
    »Wenn ich ganz
ehrlich bin, möchte ich davon nichts wissen, Herr Swensen. Ich
war nur hier, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Sollte ich
irgendwann meine Meinung ändern, darf ich Sie dann
anrufen?«
    »Natürlich
dürfen Sie das! Und was mache ich mit dem Buch, wenn wir es
nicht mehr brauchen?«
    »Behalten Sie es
doch oder werfen Sie es weg! Ich möchte es jedenfalls nicht
mehr zurück!«
    Sebastian Lechner gibt
Swensen zum Abschied die Hand, setzt sich in seinen Wagen und
fährt davon. Der Hauptkommissar schaut dem Wagen nach, bis er
verschwunden ist. Etwas schnürt seinen Hals
zusammen.
    Geburt, Leiden und Tod
passieren in jedem Augenblick, spricht eine innere Stimme zu ihm,
und er sieht seinen Meister Lama Rinpoche vor sich, zum Anfassen
real, wie er in seiner orangefarbenen Robe in den Meditationsraum
des Tempels tritt. »Der Mensch ist einem Samen gleich. Sein
Leben ist ein steter Prozess des Wachsens. So wird deutlich, dass
wir uns ständig wandeln müssen, denn täten wir das
nicht, würde das de facto unseren wirklichen Tod bedeuten. Wer
stirbt, verändert nur sein bisheriges Leben.«
    Swensen steigt in
seinen Wagen, dreht den Zündschlüssel und fährt an.
Erst in der Mitte der Herzog-Adolf-Straße bemerkt er, dass er
fälschlicherweise in Richtung seiner alten Wohnung unterwegs
ist. Den Impuls umzukehren, verwirft er sofort wieder und
fährt einfach weiter. Es wird noch lange dauern, bis er in
Annas Haus in Witzwort wirklich angekommen ist. Er parkt auf dem
Platz, auf dem am Morgen noch der Möbelwagen gestanden hatte.
Mit ziemlicher Anspannung war er damit gegen Mittag vor Annas
Gartentor vorgefahren. Es gab ein großes Hallo, als die
Kollegen ruckzuck die Möbelteile und Umzugskartons in den
ersten Stock schafften. In einer Stunde war alles erledigt gewesen.
Dann saßen alle noch im Garten zusammen, und es dauerte nicht
lange, bis über den Mordfall geredet wurde. In Annas Freude
über den gelungenen Umzug mischte sich die Bestürzung
über die unfassbare Tat. Sie wollte nicht glauben, dass ihre
Klientin Petra Ørsted nur gestorben war, weil sie zur
falschen Zeit am falschen Ort gewesen war.
    Mit den Bildern vom
Umzug im Kopf, steht der Hauptkommissar in seinem leeren
Wohnzimmer. Die nackten, weißen Wände sprechen bereits
von vergangenen Zeiten. Er lauscht ihren Worten, lässt den
alten Erinnerungen freien Lauf, damit sie wieder Leben in die Bude
bringen. Mit feuchten Augen tritt er ans Fenster. Die schräge
Sonne hängt in den Ästen der Bäume. Seine rechte
Hand stößt an das Buch von Hanna Lechner, das er in die
Jackentasche gesteckt hatte. Er zieht es heraus, blättert die
handgeschriebenen Seiten durch und bleibt an der Überschrift
›Der Mann mit der Aktentasche‹
hängen.
    Ist das nicht
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