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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen
Autoren: Alfred Komarek
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über den runden Kopf strich, setzte dieser ohne Vorwarnung zu einer ebenso schnellen wie wohldosierten Attacke an und zog ihm mit den Krallen der rechten Pfote ein paar feine rote Linien übers Handgelenk: Keiner, auch nicht sein Ernährer, stolperte ungestraft über ihn.
    Unter nobler Mißachtung der erstaunlich phantasievollen Schimpfwörter, mit denen ihn Polt bedachte, verließ Czernohorsky mit steil aufgestelltem Schwanz den Raum. »Auch gut«, seufzte der Gendarm, machte es sich bequem, und bald hüllte ihn jenes uferlose Behagen ein, mit dem es sich ganz gut allein sein ließ. Er war sehr froh darüber, diese Unterkunft beim Höllenbauern gefunden zu haben. Eigentlich hatte er es damit sogar besser getroffen als seine Quartiergeber. Früher, als sich auf dem langgestreckten Anger das öffentliche Leben im Dorf abspielte, waren die vorderen Räume der schmalen und tiefen Streckhöfe natürlich am attraktivsten gewesen. Heutzutage machte sich im Zentrum der Dörfer laut und aufdringlich die Straße breit, und wer es sich leisten konnte, behalf sich mit schalldichten Fenstern. »Hintaus«, wo sich früher die Alten und das liebe Vieh ihr wenig beachtetes Dasein geteilt hatten, führte nach wie vor nur ein kaum befahrener Wirtschaftsweg vorbei, und es ließ sich dort prächtig wohnen.
    Simon Polt öffnete das Küchenfenster weit, knipste das Licht aus und stellte einen einfachen Kerzenleuchter, wie er manchmal noch in Preßhäusern Verwendung findet, auf den Tisch. Der Gendarm war kein besonders romantisches Gemüt, aber er mochte dieses weiche, lebendige Licht, das starre Formen und harte Konturen auflöste und sozusagen eine neue Wirklichkeit schuf. Bei Kerzenlicht gingen auch seine Gedanken andere Wege. Kühler Nachtwind strich durchs Fenster, und allmählich stellte sich jene intuitive Hellsichtigkeit ein, die mehr war, als sein Kopf eigentlich zu fassen vermochte, und vor der Polt eine Art respektvoller Scheu empfand. Da war auch Albert Hahn wieder: Mit einer Taschenlampe in der rechten Hand ging er durch den dunklen Keller, blieb irgendwann kopfschüttelnd stehen, atmete ein wenig schwerer, tat dann aber doch die paar Schritte zum Flaschenregal und beugte sich hinunter. Er taumelte. Angst verzerrte sein weißes Gesicht, verzweifelt rang er nach Luft und fiel Sekunden später zu Boden. Dort blieb er liegen und starb einen stillen, gründlichen Tod: Die Atmung setzte aus, das Herz hörte auf zu schlagen, und dann zerstörte der Sauerstoffmangel das Gehirn. Als Friedrich und Karl mit angehaltenem Atem zu Hilfe eilten, war längst kein Leben mehr in Albert Hahn… Gärgas von einem der benachbarten Keller, oder von mehreren zugleich. Es war gefährlich, um diese Zeit in den Weinkeller zu gehen. Vielleicht hätte eine brennende Kerze den Hahn noch rechtzeitig gewarnt, aber eine Taschenlampe war eben praktischer und moderner. Außerdem war er all die Jahre vorher auch zur Lesezeit in den Keller gegangen, und nie war etwas passiert. Warum ausgerechnet in diesem Herbst? Warum wirklich?
    Polt fühlte sich übergangslos unbehaglich. Es war eine besonders gute Ernte gewesen, und alle Fässer, alle Plastikbehälter und Stahlzisternen waren voll. Es hatte also jede Menge Gärgas gegeben, und irgendwie mußte es den Weg in Hahns Keller gefunden haben. Der Gendarm nahm sich vor, tags darauf mit dem Friedrich Kurzbacher darüber zu reden. Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln in Polts müdes Gesicht: Er leugnete ja gar nicht, daß ihm jede Gelegenheit recht war, einen guten Freund und einen Weinkeller zu besuchen. Geschah das dann auch noch aus einwandfrei dienstlichen Gründen, durfte Simon Polt, Gruppeninspektor seines Zeichens mit einigermaßen makelloser Dienstbeschreibung, wieder einmal recht zufrieden mit seinem Beruf sein.
    Am frühen Morgen, als er vor die Tür trat, sah er einen toten Vogel auf dem schmalen Kiesweg liegen. Er war wohl in der Nacht vom Nußbaum gefallen, der im Hof stand. Das kleine Tier lag auf dem Rücken, die Krallen nach oben gereckt, und sein gelber Bauch leuchtete in der blassen Morgensonne. Polt nahm den Vogel vorsichtig in die Hand und trug ihn hinter das Haus, wo Brennesseln und Gestrüpp wucherten. »Hier schläfst du besser, Freund«, murmelte er und machte sich auf den Weg, um seinen Dienst anzutreten.
    Wenig später zerstörte Harald Mank, der Postenkommandant, freundlich, aber bestimmt die Aussicht auf einen unterirdischen Dienstweg. »Mein lieber Simon«, sagte er seufzend, »wir
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