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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen
Autoren: Alfred Komarek
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freien Stücken seit Jahrzehnten arbeitslos und hätte auch längst kein Dach mehr über dem Kopf, ließe ihn nicht ein Bauer, bei dem er selten genug und mit deutlichem Widerwillen aushalf, in einer Weingartenhütte schlafen. Die warme Jahreszeit über war das ganz angenehm für den Alten, doch im Winter, bei Minusgraden ohne jede Heizung… Offenbar hatte Bartl eine Strategie gegen das Erfrieren gefunden, wie er auch seinen exzessiven Alkoholkonsum ganz gut überlebte. Kleine Pannen gab es natürlich - wie damals etwa, als er bei einem Bauern um Heu bettelte, um die vielen gelben Kühe füttern zu können, die sich plötzlich gegen Mitternacht in seiner Hütte drängten. In den Tagen nach dem Monatsersten hatte er immer etwas Geld in der Tasche und konnte im Wirtshaus sitzen. Später war er auf die Kellergassen angewiesen, wo ihn die Bauern als Gast duldeten, weil er sich nie aufdrängte, nicht zu lange blieb und auch im ärgsten Rausch eine altmodisch gezierte Höflichkeit bewahrte.
    Simon Polt war indes am Ende seiner Mahlzeit angelangt, schob bedächtig das letzte Stück Fleisch in den Mund, und während er kaute, bewegte er einen flaumigen Rest Semmelknödel über den Teller. Geduldig, methodisch und genießerisch tunkte er den knoblauchduftenden Saft auf, bis er endlich mit seinen Bemühungen zufrieden war und den köstlichen Rest zärtlich zwischen Zunge und Gaumen zerdrückte, bevor er ihn andächtig schluckte. Jetzt war er versöhnt mit sich und der Welt, jetzt war er gewillt, auch mit diesem Wirrkopf Bartl freundliche Worte zu wechseln oder dem verblichenen Albert Hahn wenn schon keine Sympathie, dann doch Objektivität angedeihen zu lassen.
    Man konnte es drehen und wenden, wie immer es ging: Albert Hahn war vor dem Gesetz ein unbescholtener Mann gewesen. Er hatte mit allem gehandelt, hauptsächlich mit Immobilien. In Wien war er dafür bekannt gewesen, desolate Zinshäuser zu kaufen, in denen er dann Gastarbeiter unterbrachte, die, wie er sich zu verantworten pflegte, ja schließlich freiwillig zahlten, was er verlangte. In Brunndorf hatte er sich darauf verlegt, den hilfsbereiten Freund alter und kranker Menschen zu spielen. Irgendwann kaufte er ihnen Häuser, Weinkeller oder Grundstücke zu lächerlich niedrigen Preisen ab. Kaum war die Sache beim Notar besiegelt, hatte er für seine lieben Freunde und Vertragspartner nur noch kalten Hohn übrig. Im Wirtshaus sagte er einmal: »Ich mache gerne Geschäfte mit senilen Idioten. Das unterhält und bringt was ein.« Einer dieser senilen Idioten hatte sich ein paar Wochen nach dem abgeschlossenen Kaufvertrag auf dem Dachboden erhängt.
    Mit Friedrich Kurzbacher war die Sache anders gelaufen. Vor Jahren, als die Weinpreise wieder einmal zum Verzweifeln niedrig gewesen waren und überdies der museumsreife Traktor Kurzbachers zusammengebrochen war, hatte ihm Hahn eine beachtliche Summe geliehen - zinsenfrei sogar, als »guter Kellernachbar«, wie er mit fast schon glaubhafter Herzlichkeit versicherte. Allerdings mußte ihm der Kurzbacher zur Sicherstellung Keller und Weingärten verpfänden. Pünktlich zum vereinbarten Termin zahlte Friedrich Kurzbacher den gesamten Betrag zurück, es gab einen kräftigen Handschlag, und Albert Hahn sagte, alles sei nunmehr erledigt und um die Formalitäten werde er sich schon kümmern. Vor ein paar Monaten hatte es dann wegen eines Feldweges zwischen den Preßhäusern Streit zwischen Hahn und Kurzbacher gegeben. Der Landvermesser wurde geholt und entschied zugunsten Kurzbachers. »Auch gut«, hatte damals Albert Hahn gesagt. »Und was ist übrigens mit dem Geld, das du mir zurückgeben solltest?« Kurzbacher wurde blaß vor Wut, ließ den Hahn wortlos stehen, ging in sein Haus und schlug das Hoftor hinter sich zu, daß es krachte. Als er sich beruhigt hatte, ging er zum Gemeindesekretär, weil der in Amtsdingen Bescheid wußte. Wenig später kam die deprimierende Wahrheit ans Licht: Hahn hatte die Belastungen von Kurzbachers Eigentum im Grundbuch nie löschen lassen, und für die pünktliche Rückzahlung des Betrages gab es keinen schriftlichen Beleg und keine Zeugen. Seitdem wurde prozessiert, und es schaute verdammt schlecht aus für den Kurzbacher.
    Polts Stimmung, durch derlei Überlegungen ohnedies merklich getrübt, schlug vollends um, als Florian Swoboda, den seine Freunde »Flo« nannten, zur Tür hereinkam. Er trug einen kleinkarierten Janker über dem bestickten Leinenhemd und derbe Hosen, wie es vermutlich in seinen
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