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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen
Autoren: Alfred Komarek
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dem es für alles eine vertraute Ordnung gab und wo sich auch noch ein paar diskrete Laden fanden, für Dinge, die nicht jeden etwas angingen. Damit war es seit einiger Zeit vorbei: Irgendwelche Betriebsorganisationsfachleute hatten ihre Ansicht durchgesetzt, daß der vorhandene Raum effizienter genutzt werden konnte, wenn man Funktionsbereiche schuf, die von jedem je nach Bedarf in Anspruch genommen wurden. Daß der Mensch auch im Büro gerne weiß, wo sein Platz ist und wo er Wurzeln schlagen kann, wurde als unproduktive Sentimentalität abgetan. Nur der Sachbearbeiter und der Postenkommandant hatten noch eigene Schreibtische.
    Umständlich machte sich Simon Polt daran, in der Angelegenheit Albert Hahn ein dienstliches Fernschreiben an das Bezirkskommissariat, die Bezirkshauptmannschaft, die Kriminalabteilung und die Sicherheitsinspektion zu verfassen. Mißvergnügt las er den Text durch, ärgerte sich wieder einmal über seine hölzernen Formulierungen. Als er diese ungeliebte Arbeit beendet hatte, war seine Dienstzeit längst vorüber. Er meldete sich ab und versuchte, wie sonst Freude am kleinen Spaziergang nach Hause zu haben.
    Es war Abend geworden, noch lag eine Ahnung von Sonnenwärme in der Luft, doch auch der Herbst war schon zu spüren: frische, klare Kühle als Vorbote der grauen Nebelzeit. Die wenigen Straßen und Gassen der kleinen Stadt waren um diese Abendstunde fast menschenleer, und beim Kirchenwirt war bestimmt auch nicht viel los: Statt miteinander zu reden und zu trinken, saßen die Menschen stumm vor den Fernsehgeräten und ließen sich eine Welt aufschwatzen, die nicht die ihre war.
    Simon Polt, nunmehr Privatmann, verspürte zunehmend weniger Lust, heimzugehen. Er war Junggeselle, und niemand erwartete ihn, sah man von seinem präpotenten Kater namens Czernohorsky ab, der ihn nicht wirklich vermissen würde, solange es genug zu fressen gab - und dafür hatte bestimmt die alte Erna gesorgt, die Polts Haushalt vor jeder Verlotterung bewahrte. Der Gedanke an einen wohlgefüllten Futternapf verwob sich allmählich mit dem Bild eines gewaltigen Schweinsbratens, wie ihn Maria, die runde Frau des Kirchenwirtes, mit beiläufiger Meisterschaft zubereitete, und davor schob sich goldgelb, schaumgekrönt und kühl betaut ein großes, bauchiges Glas Bier.
     
    Er war ein schlechter Mensch, der Hahn
     
    »Oh, Herr Inspektor, meine amtsuntertänigste Verehrung!« rief der Wirt, Franz Greisinger, auch kurz Franzgreis genannt, als er seinen neuen Gast bemerkte.
    »Das Bier könnte längst dastehen«, entgegnete dieser und ging zielbewußten Schrittes in die Küche. »Weißt du, worauf ich Lust habe?« fragte er dort Maria, die eben dampfende Knödel aus dem dampfenden Wasser hob. »Ich kann’s mir denken«, sagte die Wirtin trocken und schenkte ihm ein appetitanregendes Lächeln. Zufrieden kehrte Simon Polt in die Gaststube zurück und stellte sich an die Schänk, wo schon sein Bier auf ihn wartete. Ohne Hast, doch auch ohne jede Verzögerung griff er zum Glas, hob es an den Mund und tat einen achtungsgebietenden Schluck. Franzgreis schätzte mit routiniertem Blick die Trinkgeschwindigkeit seines Gegenübers ab und griff schon einmal vorbeugend zum Zapfhahn. »Ein Hahn weniger auf dieser Welt, nicht wahr?« bemerkte er so nebenbei.
    »Lieber würde ich über etwas anderes reden«, sagte Simon Polt und nahm einen zweiten, diesmal schon etwas gemäßigteren Schluck. »Aber wenn wir schon dabei sind: Was sagen denn die Leute so?«
    Franzgreis strich über seinen prächtigen Schnurrbart, der geradezu vor vitaler Borstigkeit strotzte. »Geht mich nichts an, als Wirt, weißt du? Aber was alle sagen, meine ich auch: ein viel zu schöner Tod für einen schlechten Menschen.«
    Polt überlegte noch, was er darauf antworten solle, als Maria mit dem Schweinsbraten aus der Küche kam. »Mahlzeit, Simon«, sagte sie freundlich, stellte den Teller auf den Stammtisch und legte Messer und Gabel, die in eine rotkarierte Papierserviette gewickelt waren, daneben.
    »Mahlzeit!« war plötzlich von der anderen Seite der Gaststube aus zu hören. Polt, der schon Platz genommen hatte, blickte ein wenig unwillig auf und sah den alten Bruno Bartl, der offenbar eben erst aufgewacht war, das grindige Haupt hob und mit kleinen, geröteten Augen den Inspektor anschaute. Der sagte »Danke!« und widmete sich rasch seiner Mahlzeit, um in kein Gespräch verwickelt zu werden.
    Bruno Bartl war kein wirklich unangenehmer Mensch. Er war nur aus
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