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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen
Autoren: Alfred Komarek
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vage und hob das Glas.
    Alle drei senkten kurz, aber andächtig die Nasen, freuten sich über den sauberen, fruchtigen Duft und nahmen den ersten Schluck. Karl und Friedrich schlürften erst nur ein wenig, ließen den Wein im Mund wandern und schluckten behaglich, um dann anerkennend zu nicken. Simon Polt aber leerte das Glas bis auf einen kleinen Rest. Eigentlich war ihm danach gewesen, das ganze Glas in einem Zug auszutrinken und dann ein zweites, und noch eins, bis die Welt endlich weichere Konturen hatte. Aber der Inspektor nahm sich zusammen, denn immerhin war er im Dienst. »Kellerfrisch ist eben kellerfrisch!« sagte er höflich und aus tiefster Überzeugung. Die beiden anderen nickten und hatten dieser profunden Erkenntnis nichts hinzuzusetzen.
    »Einmal muß ich dich ja doch fragen, Friedrich«, sagte der Inspektor nach einer kleinen Weile, »wie steht es mit eurem Prozeß?« Und er wies mit einer kleinen Kopfbewegung auf das benachbarte Preßhaus.
    Friedrich Kurzbacher nahm nun doch einen kräftigeren Schluck und sagte: »Jetzt ist wahrscheinlich alles anders.« Dann schaute er zum Karl hinüber, mit dem er gut bekannt, aber nicht befreundet war. »Wir reden dann noch darüber, später.«
    Eine Weile herrschte Schweigen. Alle drei spürten, daß ein ungebetener Gast in ihre Runde getreten war. Albert Hahn stand unsichtbar da, feist, mit weißlicher Haut. Man konnte meinen, seine Stimme zu hören, eine lächerlich hohe Stimme, die sich manchmal überschlug, in der aber Kälte und unendliche Bosheit lagen.
    »Das wird die Bestattung sein«, sagte der Friedrich erleichtert, als er ein Auto näher kommen hörte. Die Männer stellten die Gläser auf den kleinen hölzernen Tisch, traten vor das Preßhaus und sahen auch schon den schwarz lackierten Kleinbus von Hannes Weinrich um die Ecke biegen. Der Bestatter lenkte das Auto, und neben ihm saßen dicht aneinandergedrängt zwei Helfer.
    Wenn er nicht gerade angesichts einer Leiche pietätvolle Würde zur Schau trug, war Hannes Weinrich ein höchst unterhaltsamer Mensch, stets dazu aufgelegt, den Ernst des Lebens nicht allzu ernst zu nehmen. Es fing damit an, daß er seinen Beruf hauptsächlich deshalb ergriff, um seine spießigen Eltern zu ärgern, die schon alle Weichen für die Laufbahn eines höheren Beamten gestellt hatten. Er zog aufs Land, nach Burgheim, ein paar Kilometer von Brunndorf entfernt. Burgheim war eine jener kleinen Städte, die früher, als es noch rege Handelsbeziehungen mit Böhmen und Mähren gab, ganz gut leben konnten. Doch in den letzten Jahrzehnten waren dem immer grauer und stiller werdenden Städtchen die Einwohner nach und nach davongelaufen, und jene, die blieben, hatten viel Zeit und wenig Geld.
    Bei Hannes Weinrich lagen die Dinge anders: Neben seinem Bestattungsunternehmen, das ebenso bescheidene wie verläßliche Gewinne abwarf, betrieb er eine Brennstoffhandlung. Es sei einfach nicht befriedigend, merkte er eines Tages dazu an, immer nur darauf zu warten, bis einer sterbe. Seinen vierzigsten Geburtstag hatte er in einem großen Festzelt neben der Friedhofsmauer gefeiert. Der Totengräber grillte, die Sargträger servierten, und die Blasmusik, nicht eben nüchtern, spielte dermaßen falsch, daß die Gäste einander erschrocken anschauten, wenn versehentlich ein sauberer Ton dazwischenrutschte.
    Diesmal schaute der Bestatter ernst und gefaßt drein, wie es sich gehörte, grüßte knapp, aber freundlich und fügte hinzu: »Liegt er noch unten, der Albert?«
    »Ja«, sagte Simon einigermaßen dienstlich und versuchte nicht daran zu denken, wie er zusammen mit dem Hannes vor ein paar Monaten den Rekord im Kirchenwirt-Dauersitzen gebrochen hatte: Erst nach zweiundzwanzig durchwegs genußreichen Stunden waren sie - immer noch aufrecht - darangegangen, dem Alltag wieder ins Auge zu sehen.
    »Na dann«, sagte der Bestatter und gab seinen Helfern, die inzwischen die Hecktür des Lieferwagens geöffnet hatten, mit einer müden Kopfbewegung zu verstehen, daß sie ihm folgen sollten. Es dauerte kaum zwei Minuten, dann verließ Albert Hahn, entseelt auf einer Bahre liegend, sein Preßhaus für immer. Hannes Weinrich ging auf den Inspektor und die zwei Kellernachbarn zu und sagte bedrückt: »Ich mag diesen Augenblick nicht, dieses Hineinschieben ins Fahrzeug. Es ist so schrecklich banal und dabei so verdammt endgültig. Wenn dann später im Friedhof alle heulen und die Erde auf den Sarg poltert, ist mir wieder leichter. Na ja, was soll’s.
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