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Polizei-Geschichten

Polizei-Geschichten

Titel: Polizei-Geschichten
Autoren: Ernst Dronke
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einem der ersten Tage nach seiner Heimath besuchte
    er das Grab seiner Mutter. Die Dämmerung war hereinge-
    brochen, als er auf den Kirchhof kam, und er hatte einige
    Zeit zu thun, bis er unter den vielen alten und neuen Grä-
    bern das gesuchte fand. Lange, lange saß er hier auf dem
    Hügel, die Stunden verflogen ihm in seinen Träumen und
    Erinnerungen, ohne daß er es bemerkte. Endlich erhob er
    sich und pflückte eine wilde Blume; dann wollte er sich
    entfernen. Es war aber noch Jemand zugegen, augenschein-
    lich in ähnlichen Gefühlen, denn wenige Schritte weiter
    erhob sich jetzt von einem andern Hügel ebenfalls eine Ge-
    stalt. Beide hatten einander in ihren Trauergedanken nicht
    wahrgenommen, obwohl nur ein einziger Grabhügel sie
    trennte. Arthur bog um das Grab seiner Mutter, der An-
    dere um den Hügel, an dem er gesessen, und so gewahrte
    jetzt Jeder in der Dunkelheit die fremde Gestalt. In diesem
    Augenblick trat plötzlich der Mond aus einer Wolke und
    beleuchtete ihre Gesichter, — Beide fuhren vor einander
    zurück. Der zweite war der Polizeidirektor W.
    Arthur betrachtete ihn mit einem lodernden Blick, der
    aus dem bleichen, abgewehrten Gesicht gespenstisch fun-
    kelte, und sein Herz pochte und kochte in gährender Auf-
    regung.
    „Mögest Du in der Sterbestunde einsam und verlassen,
    in der Angst des Wahnsinns verenden!“ rief er mit gellen-
    dem Ton.
    Der Polizeidirektor hatte ihn mit starrem entsetztem
    Ausdruck, als ob er ein Gespenst sehe, betrachtet. Seine
    Hand zeigte auf das eben verlassene Grab, während sein
    Auge wie gebannt auf das funkelnde Auge des Gegners
    schaute, und er stieß mit zitternder Stimme das Wort der
    Verzweiflung aus:
    „Mörder!“ —
    Arthur lachte in gellendem, häßlichem Ton. Dann trat
    er einen Schritt auf ihn zu und murmelte düster in das
    verzerrte Gesicht des Mannes:
    „Mein Vater und meine Mutter sind in Fluch und Elend
    gestorben, Du hast mich zur Waise gemacht! Dein Ende
    wird im Fluch der Menschen und im Elend der wahnsinni-
    gen Verzweiflung sein!“ —
    Der Mann wich zurück, wie vor dem Hauch eines Pest-
    kranken, und er stützte sich auf das Kreuz seines ältesten
    Sohnes.
    „Noch hast Du zwei Kinder, noch wankst Du nicht wie
    ich als freudloses Gespenst durch das Leben, aber — “
    fügte Arthur mit drohend erhobenem Arm hinzu, „wir se-
    hen uns wieder, und Du wirst noch einsamer, noch ver-
    lassener sterben, als meine Mutter — verstehst Du, als
    meine Mutter — einsam, ganz einsam, verlassen in Dei-
    nem Fluch!“ —
    Mit diesen Worten strich Arthur an ihm vorüber, und
    der Mann sank bleich und entsetzt auf den Grabhügel
    seiner Kinder. Als er sich wieder erhob, war er allein, aber
    in seinen Ohren gellten die Worte:
    „Wir sehen uns wieder!“ —
    
    Der dritte Sohn des Polizeidirektors hatte während Arthurs
    Gefangenschaft seine Studien angetreten und vollendet,
    und stand als Praktikant beim Landgericht in ***. Er war
    überdies seit Kurzem mit einem liebenswürdigen Mädchen
    aus einer der angesehensten und reichsten Familien der
    Universitätsstadt verlobt, und arbeitete mit um so größerer
    Energie zu seinem letzten Examen.
    Eines Tages kam Heinrich, so hieß der junge W., in ei-
    ner ungewöhnlichen Stimmung zu Tisch. Er war zerstreut
    und nachdenkend, und antwortete mehrmals auf die Fra-
    gen seines Vaters in ganz verkehrter Weise. Als der letz-
    tere ihn darauf aufmerksam machte, nahm er sich zwar
    zusammen und sprach eine Zeitlang mit großer Lebendig-
    keit über gleichgültige Dinge, aber man konnte doch das
    Gewaltsame, Gezwungene seiner Weise wohl bemerken,
    und bald versank er auch wieder in seine frühere Starr-
    heit. Auf das eindringliche Befragen seines Vaters erzählte
    er denn, daß er am gestrigen Abend, als er seine Braut
    ins Theater geführt, im Gedränge mit dem jungen Arthur
    zusammengetroffen und von diesem im Beisein mehrerer
    Offiziere und jüngeren Beamten beleidigt worden sei. Die
    gesellschaftlichen Ansichten erwarteten in diesem Fall
    eine Ausgleichung durch Waffen, aber nach dem Vorfall
    mit seinen älteren Brüdern habe er nicht nur einen Ab-
    scheu vor jedem Duell, sondern es graue ihm namentlich
    auch vor Arthur, und er wisse nicht, was er thun solle.
    Der Vater erschrak bei dieser Erzählung und verlangte
    mit besorgten, ängstlichen Worten seinem Sohn das Ehren-
    wort ab, daß er sich mit Arthur unter keiner Bedingung in
    ein Duell einlassen wolle. Heinrich suchte ihn über
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