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Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
Autoren: Etgar Keret
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Beide arbeiten über stinkenden Löchern, bohren und verschließen Öffnungen für ihren Lebensunterhalt. Beide verdienen kein schlechtes Geld. Und beide, mit hoher Wahrscheinlichkeit, genießen ihren Beruf nicht wirklich. Nur dass die Arbeit des mit den Brauen »ehrenwert« ist und er für diese Ehre fünf Jahre lang Israel verlassen und in Rumänien studieren musste, während das für den Installateur sicher ein bisschen einfacher lief. Das heute war echt schon die Krönung mit dieser Kieferoperation, als der Alte nicht zu wimmern und zu bluten aufhören wollte und ihn der Absauger fast erstickte. Und der mit den Brauen, der die ganze Zeit beruhigend zu sein versuchte, konnte nicht damit aufhören bei sich zu denken, dass das alles umsonst war. Dass es diesen Alten mindestens ein Jahr der Qual kosten würde, bis er sich an die Implantate gewöhnt hätte, und dass er garantiert schon zwei Tage vorher oder nachher an einem Herzinfarkt, an Krebs oder einem Schlaganfall sterben würde, oder woran immer Menschen in diesem Alter eben sterben. Man muss das Alter, bis zu dem man Patienten behandelt, auf achtzig begrenzen, denkt er, während er die Schuhe abstreift, und danach schlicht und einfach zu ihnen sagen: »Ihr habt genug gelebt. Von jetzt an nehmt das, was übrig ist, wie einen Bonus, ein Geschenk ohne Umtauschzettel. Euch tut was weh? Legt euch ins Bett. Es tut weiter weh? Wartet ab: Entweder geht es vorbei oder ihr sterbt.« Dieses Alter, denkt sich der mit den Brauen, während er sich die Zähne putzt, ist schon unterwegs zu mir, galoppierend wie ein wild gewordenes Pferd, dem der Schaum aus den Nüstern sprüht. Demnächst werde ich das sein, der sich in dieses Bett legt und nicht aufsteht. Und etwas an diesem Gedanken beruhigt ihn.

    »Es tut mir leid«, sagt der Schnurrbärtige, »das war nicht meine Absicht.« Pnina könnte hart bleiben, ihn fragen, was genau nicht seine Absicht gewesen sei, sie zu küssen? Ihre Schwäche auszunutzen? Mit ihr den ganzen Weg im Auto nach Herzelia zu fahren, in dem Geruch nach Kokosduftreiniger gemischt mit Schweißausdünstung? Doch sie sagt nichts, sie hat keine Kraft dazu. Sie bittet nur, dass er sie nach Hause zurückbringen soll. »Vielleicht wäre es besser, wir würden zur Polizei fahren«, meint der Schnurrbärtige, »trotzdem, zur Sicherheit.« Doch Pnina schüttelt den Kopf. Avner wird am Ende zurückkehren, das weiß sie, er ist keiner von denen, die Selbstmord begehen, und auch keiner von denen, die jemanden erschießen. Zu Anfang, als der mit dem Pflaster das gesagt hat, hat es ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt, aber jetzt, wenn sie versucht, sich im Geiste dieses Bild auszumalen, wie Avner sich die Pistole in den Rachen schiebt oder an die Schläfe presst, ist das einfach nicht nach ihm. Der Schnurrbärtige erhebt keine Widerrede, fährt sie nur nach Hause. Unten steht das Fahrzeug vom Catering mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig und blockiert noch immer die Straße. Die Armen, die ganze Zeit über haben sie dort gewartet. Der Schnurrbärtige schlägt vor, auszusteigen und mit ihnen zu reden. Pnina sieht, dass er irgendwie behilflich sein möchte, etwas wiedergutmachen. Aber sie lässt ihn nicht. Nicht um ihn zu bestrafen, bloß so, sie hat nicht die Kraft. Nachdem sie aus dem Auto ausgestiegen ist, ruft er ihr nach. Sie hofft, dass es nicht deswegen ist, um sich nochmals zu entschuldigen. Die Wut, die sie vorher überflutet hat, ist bereits verschwunden. Sie ist nicht mehr böse auf ihn, wirklich nicht. Er scheint durchaus eigentlich ein netter Mensch zu sein. Und dass er sie geküsst hat – vielleicht war sein Timing ja etwas unglücklich, aber sie hat gespürt, dass er sie von dem Moment an, in dem er eintraf, begehrt hat, und den größten Teil dieses Abends über war das sogar ein erfreuliches Gefühl. Der Schnurrbärtige gibt ihr das Geschenk für Avner und eine Visitenkarte, und er erklärt ihr, dass auf der Karte auch seine Mobiltelefonnummer steht und dass sie ihn jederzeit anrufen könne. Sie nickt, sie wird ihn nicht anrufen, nicht heute.

    Der mit dem Pflaster findet einen Parkplatz direkt vor seinem Haus. Doch statt die zwei Stockwerke hinaufzugehen, den Schlüssel ins Türschloss zu stecken, die Kleider im Korridor im Dunkeln abzulegen und leise auf seiner Seite ins Bett zu schlüpfen, beginnt er zu gehen. Anfangs hat er keine blasse Ahnung, wohin: Strandstraße, Schlomo hamelech, King George, danach Diezengoff. Erst auf der
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