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Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Titel: Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
Autoren: Nicola Förg
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Aber genau das wollten Helga und Bartl nicht. Irmi erinnerte sich an Veit Bartholomäs Aussage, dass er es gar nicht schätze, wenn man Menschen wehtue, die er liebe. Sosehr er Regina wohl gemocht hatte – seine Frau hatte er mehr geliebt. Was in jener Nacht tatsächlich passiert war, würden sie vermutlich nie erfahren. Hatte Regina noch etwas gesagt? Und was? Wie hatte er ihr in den Kopf schießen können wie einem Stück Wild?
    Veit Bartholomä hatte gestanden und alle Fragen beantwortet, soweit sie die Fakten betrafen. Über seine Gefühle hatte er kein Wort verloren. Er hatte seinen Plan geradlinig durchgezogen – bis zum bitteren Ende.
    Auch vor seiner Frau hatte Bartl an seiner großartigen Inszenierung festgehalten. Sie hatte um die Tiere getrauert und um Regina, hatte die Wilderer verflucht und um Robbie gefürchtet. Das alles hatte Veit Bartholomä in Kauf genommen, weil es ihm als das kleinere Übel erschienen war.
    Helga hatte ihm das Ganze zweifellos abgenommen, aber dann hatte sie am Samstag Irmis Wagen gesehen, nicht aber die Kommissarin selbst. Plötzlich war Bartl mit einem Gewehr in der Hand davongehastet und hatte das Auto der Kommissarin gestartet. Helga hatte nichts davon verstanden, aber anstatt zu fragen, hatte sie versucht, sich den Gedankenstürmen entgegenzustemmen. Sie hatte in ihrem Allibert nachgesehen: Das Tagebuch war weg gewesen. Bartl hatte es lange schon vernichten wollen, aber das hatte sie nichts übers Herz gebracht. Es war das Einzige, was sie von ihrer Mutter hatte. Und von ihrer Identität. Die schlagartig eine so ganz andere gewesen war.
    »Frau Mangold, es tut mir so leid«, hatte Helga Bartholomä später gesagt. »Ich hätte gleich am Samstag die Polizei rufen sollen, aber ich konnte mir das alles nicht erklären. Ich war wie gelähmt.«
    Irmi hatte das verstanden, Kopf und Seele mussten sich schützen. Es gab Dinge, die man nicht sofort durchdringen konnte, denn das hätte einen umgebracht.
    Helga war dann am Montag weggefahren, um die Polizei zu informieren. »So am Telefon, Frau Mangold, hätte ich das nicht fertiggebracht. Ich …«
    Auch das verstand Irmi.
    Auf dem Weg nach Garmisch war Helga Bartholomä eine ganze Karawane aus Krankenwagen, Notarzt und Einsatzfahrzeugen entgegengekommen. Sie hatte gewendet, sich wieder nicht getraut. Dann aber war sie einem vagen Gefühl gefolgt, hatte den Hohlweg an der Grundstücksgrenze des Waldguts genommen und war vorgefahren bis zu einem Holzplatz, wo man nur noch zu Fuß weiterkam. Dort war sie schließlich auf die Lichtung getreten und hatte ihren Mann im entscheidenden Moment in die Schulter getroffen. Auch Helga konnte exzellent schießen.
    »Die Andrea war aa sehr gut, wie sie des mit dem Robbie g’macht hat«, meinte Sepp. »Dass der über das Brumm g’redt hat!«
    »Ja, klasse gemacht«, sagte Sailer.
    Andrea wurde rot, und Irmi lächelte.
    Die Tage waren hell. Die Träume kamen erst in der Nacht.
    »Hätten Sie mich wirklich getötet und auch die Kollegin erschossen?«, hatte Irmi Veit Bartholomä am Ende der ersten Befragung gefragt.
    »Sicher!«, hatte er ganz ruhig geantwortet.
    Auch davon würde Irmi träumen – noch lange.

Nachwort
    »Es ist falsch, dass Schreiben Therapie ist. Schreiben heilt nicht alle Wunden. Aber es setzt ein gewisser Verdünnungseffekt ein. Schmerzliches, das man kaum zu überleben glaubt, verdünnt sich zu einem chronischen Schmerz, den man aushalten kann« – so zitiert Regina von Braun ihre Mutter.
    Worte sind Waffen, und oft genügen Worte, um Gründe für einen Mord zu liefern. Viele Menschen streben danach, die Vergangenheit unbedingt unter Verschluss zu halten. Wer an diesen Pforten rüttelt, wer sie gar öffnet, spielt mit dem Tod.
    »Sich den bösen Erinnerungen zu stellen war nicht immer der beste Weg, manches war so schmerzhaft, dass es in den Tresorraum musste. Aber Gnade, wenn jemand einen Schlüssel fand, diesen Raum zu öffnen!« Auch das weiß Irmi nur zu gut.
    Ich kam vor vielen Jahren erstmals mit der Tragik der Schwabenkinder in Galtür in Berührung – ein dunkles Kapitel der Geschichte, das mich im Frühjahr 2012 im Bregenzerwald wieder eingeholt hat, als quer durch viele Wäldergemeinden Ausstellungen zu diesem Thema liefen. Manchmal ist es ein klitzekleiner Augenblick, der entscheidet. Etwas packt einen und wird viel später zu einem Buch.
    Davor steht allerdings viel Recherche. Das Außerfern war das Armenhaus Tirols. So viele haben von der Kindersklaverei
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