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Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Titel: Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
Autoren: Nicola Förg
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Hochstand. Das war ihre einzige Chance.
    Kathi kletterte hinauf. Das Fenster war mit einem Tarnnetz zugehängt, sie konnte aber hindurchspähen. Sie fasste an ihren linken Oberarm, wo der Schmerz pochte und Messer in sie trieb. Es war ein Streifschuss, wie tief, konnte Kathi nicht sagen. Es blutete nicht allzu sehr, doch sie wagte es nicht, ihr Sweatshirt auszuziehen. Sie konnte endlich nach ihrer Waffe greifen. Sie entsicherte sie. Nun war ihr Finger am Auslöser. Es ging um nichts Geringeres als ihr Leben.
    Sie begann zu zittern, Tränen liefen ihr über die Wangen und vermischten sich mit dem Blut. Sie hatte eine Tochter, die musste sie doch wiedersehen. Und ihre Mutter, zu der sie nie nett genug gewesen war. So oft hatte sie in die müden Augen ihrer Mutter gesehen und doch immer gleich wieder weggeschaut. Würde sie das hier überleben, würde sie hinsehen. Und sie musste doch Irmi wiedersehen, verdammt! Ja, sie mochte diese große Frau, diese Bauerntrampeline. Sie war eine Art zweite Mutter für sie oder eine große Schwester, auch wenn sie lästig war mit ihrer Rechthaberei, ihren unberechenbaren Emotionen und ihren Eingebungen. In was hatte sie ihre letzte Eingebung nur hineingerissen, bei Gott!
    Gab es diesen Gott? Lieber Gott, mach, dass Irmi nichts passiert, flüsterte Kathi. Was, wenn es längst zu spät war? Vielleicht hatte der Jäger bei Irmi besser getroffen? Sie hielt ihre Waffe fest umklammert. Sie würde es dem Jäger nicht leicht machen.
    Irmi hatte immer wieder versucht, ob das Handy nicht doch funktionierte, doch es blieb so stumm wie das Rentier. Sie hatte solchen Durst und so pochende Kopfschmerzen, dass sie sich ablenken musste. Auf der Suche nach einem Bonbon war sie in ihrer Jackentasche auf einen Müsliriegel gestoßen, den sie in zwei Portionen zerlegt und endlos lange gekaut hatte. Sie hatte sogar einen Wasserhahn entdeckt, der jedoch abgestellt war. Sie hatte immer wieder in den Taschen gewühlt, den Raum durchsucht. Man tut so viel Sinnloses in der Verzweiflung. Doch sie hatte nur ein zerknülltes Papiertaschentuch gefunden und in der Innentasche ihrer Softshelljacke die gefalteten Blätter ertastet. Das letzte Kapitel.
    Im fahlen Schein der Petroleumlampe las sie in dem Tagebuch. Helga Bartholomä war die Halbschwester von Reginas Vater. Reginas Opa hatte Anna missbraucht, immer wieder, sein Sohn hatte etwas gutzumachen gesucht, indem er sie als Buchhalterin angestellt hatte. Aber warum hatte Regina das Tagebuch gescannt? Und wann? Und seit wann wusste Helga Bartholomä davon? Wenn das Tagebuch wirklich bei dieser Johanna gewesen war, wenn doch alle Schweigen gelobt hatten, wie war es zu Helga gelangt?
    Dann schlief Irmi ein wenig. Sie hatte zwei Decken gefunden, die schrecklich modrig stanken, aber besser als zu erfrieren waren sie allemal. Einmal hatte sie ein Geräusch gehört. Kam Bartholomä wieder? Würde er nun sein Werk vollenden? Aber das Geräusch war wieder abgeebbt.
    Mittlerweile war Sonntag. Man würde sie doch suchen? Bernhard würde sie nur bedingt vermissen. Er auch nicht, weil es bei ihnen zu Gewohnheit geworden war, nur selten miteinander zu telefonieren. Er hatte Glück. Sie fragte nie: »Wann kommst du wieder?« Es gab keinen Mann auf dieser Welt, der diese Frage ertrug – egal in welchem Zusammenhang. Warum eigentlich? Sie war doch so klein und harmlos, diese Frage.
    Andrea hielt den Hörer noch in der Hand und lauschte Kathis Worten nach, die fast in ihrem Keuchen untergegangen wären. Und dann sprang sie auf. Brüllte die ganze PI zusammen, bis Sepp sie beruhigen konnte. Sepp rief bei Sailer durch, der zwar ein Handy besaß, jedoch gern mal die Anrufer wegdrückte. Diesmal gottlob nicht.
    »Sailer, wo bist?«, fragte Sepp.
    »Vor der Tür. I wart.«
    »Sailer, oaner schiaßt auf die Kathi. Mir kommen, rühr di do ned weg und zieh dei Schießeisen. Es wird brenzlig.«
    Dann wandte er sich an Andrea. »Ja, kimm, auf geht’s, Madl. Nimm dei Waffe, mir holen die Kathi da raus. Und die Irmi.«
    Die Tiere des Waldes würden wohl flüchten oder die großen Lauscherchen auf Durchzug stellen müssen, denn nun donnerte eine Meute aus zwei Polizeiwagen und einem Krankenwagen, gefolgt von einem Notarzt durch den Tann. Sepp hatte auch Hundeführer vom THW angefordert, zwei von ihnen würden gleich kommen. Und Weilheim hatte sich eingeschaltet und in München das SEK angefordert. Sie hatten strikte Weisung, nichts Unvernünftiges zu tun. Sie vermissten seit über
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