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Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Titel: Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
Autoren: Nicola Förg
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hatte mal wieder die falschen Schuhe an, nämlich Leinenturnschuhe, von denen sie Paare in allen Farben des Regenbogens besaß.
    Es war immer noch glitschig hier, und gerade, als sie mit ihren Stoffschuhen wegzurutschen drohte, nahm sie dieses charakteristische Pfeifen wahr. Einen Luftzug. Es machte klack. Plötzlich begriff sie. Da schoss jemand auf sie. Mit einem Schalldämpfer. Kathi blieb in gebückter Haltung und rannte zwischen die Bäume. Klack! Sie duckte sich weg und begann einen Zickzackkurs zu laufen. Strauchelte, rappelte sich hoch. Rannte. Während des Laufens versuchte sie das Handy zu erwischen. Sie drückte auf irgendwelchen Tasten herum und landete im Büro. Andrea meldete sich, und Kathi zischte ins Telefon: »Sie schießen. Sailer steht am Eingang. Schnell, Hilfe!« Das Handy entglitt ihr.

12
    1955
    Die Besatzungszeit ist um. Und aus der kleinen Helga, aus dem Backfisch ist eine junge Frau geworden, die die Handelsschule mit Bravour beendet hat. »Frauen müssen unbedingt etwas lernen«, sagt Angelika immer. Und Helga kann so gut mit Zahlen umgehen.
    Angelika wird bald fünfzig, und wir werden den Tag gebührend begehen. Jakob will kommen, er ist inzwischen Pilot und hat eine Frau, die Carmen heißt und aus Mexiko stammt. Aus Mexiko! Mir wird immer noch ganz schwindelig. Wie schnell dreht sich der Globus nun!
    Und Angelika wird nach Australien gehen. »Auf meine alten Tage muss ich ein Land kennenlernen, das Weite ist – im Land, in den Köpfen und in den Herzen.« Angelika und alt! Angelika wird nie alt sein. Ich werde nicht mehr mitkommen können, und mein Helgalein hat gesagt, dass sie auch nicht so weit weg wolle. Ich habe ihr gesagt, dass ich sterben werde. Mein Helgalein meinte, dass sie bei mir bleiben werde, dass sie Onkel Jakob habe und dass sie arbeiten werde.
    Eines Tages kam ein Automobil. Ich schaffte es fast nicht mehr zum Fenster. Aber ich erkannte ihn sofort. Es war der junge Herr, auch er war älter geworden, aber immer noch so schmal wie damals. Ich blickte in diese Augen, die immer noch Feuer sprühten. Auch er erkannte mich sofort. Wir haben lange miteinander geredet. Er hat Helga sofort ins Herz geschlossen. Nun, sie ist ja seine Halbschwester, und die beiden verstehen sich prächtig. Das ist die Stimme des Blutes. Aber Helga darf das nie erfahren. Wozu auch? Es ist gut so. Helga wird gebraucht. Der junge Herr braucht eine Buchhalterin, und er ist sich sicher, dass unter Helgas Ägide sein Gut aufblühen wird. Er ist einfach ein Waldmensch, er liebt Bäume, von ihnen spricht er voller Liebe. Aber er ist gar kein Buchhalter, keiner, der wirtschaftlich denkt.
    Es ist seltsam, wie sich der Kreis schließt. Und der junge Herr Hieronymus hat mir versprochen, dass Helga nie erfahren wird, wer ihr Vater ist. Er wird ihr auch nicht sagen, dass auch ich ein Bankert bin, wie sie auf einem Lotterbett gezeugt. Dass ich also auch eine halbe von Braun bin, sozusagen eine Tante von dem jungen Herrn Hieronymus. Das weiß auch ich erst, seit mir der junge Herr das erzählt hat. Ich möchte lieber nicht darüber nachsinnen, dass damit ja der Herr seine … O mein lieber Gott, wie verworren sind diese Bande! Aber es spielt alles keine Rolle mehr. Auch diese Blutschande wird vergessen werden, wie so viele Fälle bei uns daheim, wo sich manche Väter an den Töchtern vergangen haben. Und häufig Cousin und Cousine geheiratet haben. So ist das eben, das hat Johanna immer gesagt. Ihr werde ich morgen mein Tagebuch senden.
    So schade, dass ich den Hochvogel nicht noch einmal habe sehen können. Und die Höllhörner, wo ganz bestimmt der Teufel nicht mehr wohnt. Aber ich dank dir doch, lieber Herrgott, denn von mir bleibt mein Helgalein, und auch sie hat Flügel wie ein Adler.
    Kathi rannte. Klack! Es war nur den Bäumen zu verdanken, dass die Kugeln sie nicht trafen. Wie oft hatte er geschossen? Oder sie? Oder mehrere? Viele Jäger sind des Hasen Tod. Kathi bekam kaum mehr Luft, sie trieb wenig Sport, schon gar nicht in der Disziplin des geduckten Waldsprints. Sie rannte immer schneller, einen Hang hinunter. Klack, das Brennen kam plötzlich. Es raubte ihr den Atem. Aber nur kurz, dann wandte sie sich weit nach links. Hasen schlugen Haken. Vor ihr dichter Wald. Die Bäume zerrten an ihr, sie zerkratzten ihr Gesicht. Heißes Blut lief von irgendwoher auf ihre Lippen. Die Bäume wurden wieder höher, und dann war da auf einmal eine Lichtung. Sie war schutzlos. Rechts neben ihr befand sich ein
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