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Titel: Plattform
Autoren: Michel Houellebecq
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größeren Kreis der Angler scheel angesehen. Sie litten darunter und hatten offensichtlich den Wunsch, diese Sendung zu benutzen, um ihr negatives Image aufzubessern. Zugegeben, gastronomische Motive könnten sie keine geltend machen: Das Fleisch des Welses sei völlig ungenießbar. Aber es handele sich dabei um ein schönes Angelvergnügen, das sowohl Intelligenz wie Sportsgeist erfordere und durchaus mit dem Angeln von Hechten vergleichbar sei, und es verdiene, eine größere Anhängerschaft zu finden. Ich machte ein paar Schritte durch den Raum, ohne daß es mir gelang, mich aufzuwärmen; ich ertrug nicht den Gedanken, im Bett meines Vaters zu schlafen. Schließlich ging ich nach oben, um mir Kopfkissen und Decken zu holen, und versuchte, es mir so gut es ging auf dem Sofa bequem zu machen. Ich stellte den Fernseher kurz nach dem Abspann vom Ende des Mythos der Welse ab. Die Nacht war undurchdringlich, die Stille ebenfalls.2

        Alles geht irgendwann zu Ende, sogar die Nacht. Ich wurde durch Hauptmann Chaumonts klare, sonore Stimme aus einer echsenhaften Lethargie gerissen. Er entschuldigte sich, er habe keine Zeit gehabt, am Abend zuvor vorbeizukommen. Ich bot ihm einen Kaffe an. Während ich das Wasser aufsetzte, stellte er seinen Laptop auf den Küchentisch und schloß den Drucker an. Auf diese Weise könne ich meine Aussage noch einmal durchlesen und unterzeichnen, ehe er fortgehe; ich gab ein zustimmendes Murmeln von mir. Die Gendarmerie sei zu sehr mit Verwaltungsangelegenheiten eingedeckt, leide darunter, daß sie ihrer eigentlichen Aufgabe, der Ermittlung, nicht genügend Zeit widmen könne, sagte ich, das hätte ich verschiedenen Fernsehberichten entnommen. Diesmal stimmte er mir warmherzig zu. Das war mal eine Vernehmung, die unter guten Voraussetzungen begann und sich in einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens abspielte. Windows setzte sich mit einem leisen, fröhlichen Geräusch in Gang.
    Der Tod meines Vaters war am Abend oder in der Nacht des
    14. November eingetreten. Ich hatte an jenem Tag gearbeitet; am
    15. ebenfalls. Selbstverständlich hätte ich meinen Wagen nehmen, meinen Vater umbringen und in der Nacht wieder zurückfahren können. Was ich am Abend oder in der Nacht des 14. November getan hätte. Soweit ich weiß, nichts; nichts Besonderes. Auf jeden Fall konnte ich mich an nichts erinnern; dabei war das noch nicht einmal eine Woche her. Ich hatte weder einen festen Sexualpartner noch einen wirklich engen Freund; wie sollte ich mich unter diesen Bedingungen schon erinnern? Die Tage ver gingen, das war alles. Ich warf Hauptmann Chaumont einen Blick des Bedauerns zu; ich hätte ihm gern geholfen, ihm irgendeinen Anhaltspunkt gegeben, der ihn weiterbrachte. »Ich sehe mal in meinem Terminkalender nach ...«, sagte ich. Ich versprach mir nichts davon; seltsamerweise aber stand neben dem Datum des 14. eine Handynummer und darunter ein Vorname: »Coralie.« Was für eine Coralie? Dieser Terminkalender war wirklich das letzte.
        »Ich habe ein Gehirn wie ein Haufen Scheiße...«, sagte ich mit einem enttäuschten Lächeln. »Ich weiß nicht, aber vielleicht war ich auf einer Vernissage. «
        »Einer Vernissage?« Er wartete geduldig, wobei seine Finger ein paar Zentimeter über der Tastatur verharrten.
        »Ja, ich arbeite im Kulturministerium. Ich stelle Dossiers zur Finanzierung von Ausstellungen oder Veranstaltungen zusammen.«
        »Veranstaltungen?«
        »Ja... zeitgenössischer Tanz oder ähnliches...« Mich überkam ein Gefühl der Verzweiflung, ich schämte mich zutiefst.
        »Also kurz gesagt, Sie sind in der Kulturszene tätig. «
        »Ja, so ist es... So kann man das sagen. « Er blickte mich mit einer Mischung aus Sympathie und Ernst an. Er wußte, daß es einen kulturellen Sektor gab, hatte davon eine reale, wenn auch undeutliche Vorstellung. Er hatte in seinem Beruf sicherlich mit allen möglichen Leuten zu tun; kein gesellschaftliches Milieu dürfte ihm völlig fremd sein. Die Gendarmerie ist ein Humanismus.
        Das weitere Gespräch verlief recht normal; ich hatte im Fernsehen schon Filme über gesellschaftliche Themen gesehen, war also auf diese Art von Dialogen vorbereitet. Ob mein Vater Feinde besessen habe. Nein, aber ehrlich gesagt auch keine Freunde. Wie dem auch sei, mein Vater war nicht bedeutend ge nug, um Feinde zu haben. Wem könne sein Tod Vorteile bringen? Nun, mir natürlich. Wann ich ihn zuletzt besucht
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