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Platon in Bagdad

Platon in Bagdad

Titel: Platon in Bagdad
Autoren: John Freely
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zurückführen, erklärte Thales ganz einfach damit, dass die Erde auf den allumfassenden Wassern des Okeanos treibt und in seinen Wogen schaukelt.

    Die Verwendung des Gnomons zur Bestimmung der Jahreszeiten. Die Beispiele beziehen sich auf die mittleren nördlichen Breiten. Oben: Die jahreszeitlichen Abweichungen der Sonnenbahn und die Schatten, die sie zur Mittagszeit und zu Sonnenuntergang wirft. Unten: Der Schatten des Gnomons zu den Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen.
    Platon zählte Thales (um 625 – um 547 v. Chr.) zu den Sieben Weisen des antiken Griechenlands, während ihn Aristoteles als den »Urheber solcher Wahrheitssuche« in der ionischen Naturphilosophiebezeichnete. Der Überlieferung nach soll Thales Ägypten besucht haben, wo er angeblich die Höhe einer Pyramide durch Abschreiten ihres Schattens berechnete, und zwar zu der Tageszeit, wenn die Höhe eines jeden Gegenstands der Länge seines Schattens entspricht. Herodot zufolge sagte Thales die vollständige Sonnenfinsternis voraus, die am 28. Mai 585 v. Chr. im mittleren Kleinasien zu sehen war, als die Lyder und Perser gegeneinander Krieg führten. Nach dem Wissensstand der Zeit hätte Thales unmöglich eine Sonnenfinsternis für diese Region vorhersagen können, doch sobald er in die ehrenvolle Runde der Sieben Weisen aufgenommen war, schrieb man ihm alle möglichen wissenschaftlichen Errungenschaften zu, darunter auch die ersten bei den Griechen bekannten Sätze der Geometrie.
    Zu den einflussreichsten Ideen der milesischen Physiker gehörten ihre Theorien zum Wesen der Materie, vor allem ihre Auffassung, dass es eine
arché
, einen Urstoff, gebe, der durch alle scheinbaren Veränderungen hinweg bestehen bleibe. Aristoteles schreibt: »
Thales
, der Urheber solcher Wahrheitssuche, behauptet, es sei
Wasser
– daher trug er ja auch vor, die Erde schwimme auf Wasser …«
    Aristoteles meint, Thales habe das Wasser als die
arché
angenommen »aus dem sichtbaren Sachverhalt, daß die Nahrung aller (Lebewesen) feucht ist … und Wasser ist nun einmal für alle feuchten Dinge der Anfang ihres Wesens.« Offenbar war seine Wahl auf das Wasser gefallen, weil es im Normalzustand eine Flüssigkeit ist, die jedoch bei Erhitzen zu Dampf wird und sich bei starker Abkühlung in Eis verwandelt; dieselbe Substanz tritt also in allen drei Aggregatzuständen auf. Auf einer noch grundsätzlicheren Ebene versuchte Thales eine Frage zu beantworten, die am Anfang der griechischen Philosophie steht: Worin besteht die Wirklichkeit hinter den Erscheinungen?
    Anaximander (um 610 – um 545 v. Chr.) war ein jüngerer Freund des Thales und ebenfalls Bürger von Milet. Da Thales keine schriftlichenAufzeichnungen hinterließ, war laut Themistios (um 317 – um 388 n. Chr.) Anaximander »der erste der Griechen, der es wagte, von denen wir wissen, eine Prosaschrift … über die Natur zu veröffentlichen«. Antiken Quellen zufolge soll Anaximander auch Bücher zur Astronomie verfasst haben, in denen er den Gnomon zur Bestimmung von »Sonnenwenden, Zeiten, Stunden und Nachtgleichen« verwendete, außerdem ein Werk zur Geographie, in dem er die erste Landkarte der Ökumene, der bewohnten Welt, vorstellte.
    Anaximander nannte den Urstoff
ápeiron
, »das Unbegrenzte«. Zuweilen findet man auch die Übersetzung »das Unendliche«, weil es nicht definiert ist – d. h., nicht durch spezifische Eigenschaften begrenzt. Er erkannte, dass das Wasser nicht die
arché
sein konnte, weil es schon eine bestimmte Form und festgelegte Eigenschaften besaß; der Urstoff hingegen musste in seinem Originalzustand absolut undifferenziert sein.
    Nach Anaximanders Auffassung gibt es zu jeder Zeit unzählige Welten, die aus dem Unendlichen »herausgeschieden« sind. Diese geht auf die alte griechische Vorstellung zurück, dass Himmel und Erde zu Beginn eine einzige Form hatten und sich später abtrennten, um eine unendliche Vielfalt von Erscheinungen anzunehmen. Aus der verlorenen Tragödie des Euripides
Die weise Melanippe
ist die Passage erhalten, in der Melanippe auf diese Legende verweist: »Nicht von mir stammt das Wort, sondern von meiner Mutter, daß Himmel und Erde einst eine gemeinsame Gestalt bildeten. Als sie aber voneinander getrennt wurden, erzeugten sie alles und brachten es ans Licht: Bäume, Vögel, Tiere des Meeres und das Geschlecht der Menschen.«
    Anaximander glaubte, dass die Form der Erde zylindrisch sei und dass sie sich in der Mitte des Universums befinde: »Die Erde schwebt
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