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Platon in Bagdad

Platon in Bagdad

Titel: Platon in Bagdad
Autoren: John Freely
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alle sind hybrid, heterogen, hochdifferenziert und nichtmonolithisch.«
    Hier nun also die Geschichte, wie die griechische Wissenschaft über die islamische Welt nach Europa kam. Sie beginnt mit der antiken ionischen Stadt Milet in der archaischen Zeit der griechischen Geschichte (750 – 480 v. Chr.).

IONIEN:
DIE ERSTEN NATURPHILOSOPHEN
    D as antike Milet befand sich an der Ägäischen Küste der heutigen Türkei südlich von Izmir, dem griechischen Smyrna. Als ich Milet im April 1961 zum ersten Mal besuchte, war es völlig verlassen. Nur die klingelnden Glöckchen einer Ziegenherde mit ihrem Hirten durchbrachen die Stille, als ich zwischen den Ruinen umherwanderte: das große hellenistische Theater, die höhlenartigen römischen Bäder, die Kolonnadenstraße, die zum Löwenhafen führte, und die umgebenden Läden und Lagerhäuser, früher voll mit Waren aus den milesischen Kolonien, aus so weit entfernten Gegenden wie Ägypten und dem Pontos. Jetzt waren die Gebäude vollkommen zerstört und zum Teil mit Erde bedeckt, aus der die ersten Frühlingsblumen sprossen, leuchtendrote Mohnblumen, die sich von den blassen Marmorresten der toten Stadt abhoben.
    Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird an dieser Stelle ausgegraben: Alle noch vorhandenen antiken Gebäude wurden zu Tage gefördert und mehr oder weniger restauriert, wenn auch der antike Löwenhafen seit langem verlandet ist und Milet inzwischen kilometerweit vom Meer entfernt liegt. Der Eingang zum Hafen wird immer noch von den zwei liegenden Marmorlöwen bewacht, die ihm den Namen gaben, auch wenn sie jetzt zur Hälfte mit Schwemmland bedeckt sind – Symbole der glorreichen Stadt, die Herodot »eine Perle Ioniens« nannte. Der griechische Geograph Strabon (um 63 v. Chr. − um 23 n. Chr.) berichtet: »Zahlreich sinddie Unternehmungen dieser Stadt, die größte aber ist die Menge ihrer Pflanzstädte. Denn der ganze Pontus Euxinus [das Schwarze Meer], die Propontis [das Marmarameer] und viele andere Gegenden wurden durch sie angesiedelt.«
    Ausgrabungen haben gezeigt, dass die frühesten Überreste von Milet auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts v. Chr. zurückgehen, als Kolonisten aus dem minoischen Kreta vermutlich hier eine Siedlung gründeten. Eine zweite Kolonie entstand während der Massenzuwanderung von Griechen im 1. Jahrtausend v. Chr., als sie ihre Heimat auf dem griechischen Festland verließen und in Richtung Osten über die Ägäis zogen, um sich an der Küste Kleinasiens und den vorgelagerten Inseln niederzulassen. An dieser Völkerwanderung waren drei griechische Stämme beteiligt – die Äolier im Norden, die Ionier in der Mitte und die Dorer im Süden –, gemeinsam führten sie die griechische Kultur zu ihrer ersten Blüte. Die Äolier brachten die Dichterin Sappho hervor, die Ionier Homer und die Naturphilosophen Thales, Anaximander und Anaximenes, und die Dorer Herodot, den »Vater der Geschichtsschreibung«.
    Im ersten Buch seiner
Historien
berichtet Herodot über diese Völkerwanderung, die Ionier hätten letztendlich das beste Fleckchen in Kleinasien ergattert, denn sie »haben ihre Städte in einer Gegend gegründet, die das angenehmste Klima der ganzen uns bekannten Erde hat«. Pausanias bemerkt im 2. Jahrhundert n. Chr. in seiner
Beschreibung Griechenlands:
»Das Land der Ionier erfreut sich des glücklichsten Klimas; es hat auch Heiligtümer wie sonst nirgends … der Wunderwerke in Ionien sind viele und stehen denen in Griechenland nicht viel nach.«
    Die ionischen Kolonien schlossen sich bald zum Ionischen Bund zusammen. Dieser Bund umfasste jeweils eine Stadt auf den Inseln Chios und Samos und zehn auf dem gegenüber liegenden Festland Kleinasiens, und zwar Phokaia, Klazomenai, Erythrai, Teos, Lebedos, Kolophon, Ephesos, Priene, Myus und Milet. Das Bündnis, auch als Dodekapolis (»Zwölf Städte«) bekannt, hatte seinen gemeinsamenVersammlungsort in dem Panionion auf dem Festland gegenüber Samos. Die Ionier kamen auch jedes Jahr auf der Insel Delos zusammen, dem sagenhaften Geburtsort Apollons, ihres Schutzgottes, dem sie dort mit Spielen und Wettkämpfen huldigten. Im Homerischen Apollonhymnos beschreibt der Dichter das festliche Treiben:
    Aber, Phoibos, dein Herz schwelgt doch am reichsten in Delos.
    Dies ist der Ort, wo Ioniens Söhne in wallenden Kleidern
    Dir zu Ehren sich sammeln samt Kindern und züchtigen Weibern.
    Freude bereiten sie dir, denn sie denken an dich, wenn der Wettstreit
    Anhebt mit Tänzen und Liedern und
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