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Platinblondes Dynamit

Platinblondes Dynamit

Titel: Platinblondes Dynamit
Autoren: J Juretzka
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hatte sich Folkmar noch bei keinem einzigen Taumel seines Helden in den Strudel aus Dunkelheit und Vergessen so aufgeführt. Er blökte regelrecht, heulte Rotz und Wasser.
    „Ich versteh nicht ganz“, gestand Elmo.
    „Ich habe ihn umgebracht! Jack, Jack Knife! Er ist tot! Vergiftet, erstochen, in Stücke gerissen!“
    „Ja, aber, warum?“
    „Weil ich muss ! Schuster & Schuster stellt die Serie ein!“
    Es mag herzlos klingen, doch das Erste, was Elmo durch den Kopf schoss, war die ausstehende Miete. Und wie zugig so ein Heim unter der Brücke doch sein kann.
    „Aber … das ist ja furchtbar“, sagte er, um etwas zu sagen.
    „Furchtbar? Ha! Ich fühle mich, als ob ich mir das lebende, schlagende Herz mittels eines stumpfen Messers aus der eigenen Brust geschnitten, es auf den Boden geschmissen und dann draufgepisst hätte.“
    Genau die Art von Gemütszustandsbeschreibung, dachte Elmo, zu der sich nur schwer etwas beisteuern lässt.
    Mit sanfter Gewalt entwand er Folkmar die Karaffe mit dem großen, geschliffenen, rosa Kristallstöpsel. Er hatte sie vor Jahren unter etwas nebulösen, oder sagen wir vielleicht besser umnebelten, Umständen auf einem Basar erworben und sich schon am nächsten Morgen nicht mehr entsinnen können, ob ihm empfohlen worden war, den Inhalt in Tropfen-, Teelöffel-, Esslöffeloder welcher Form auch immer zu dosieren. Auch die versprochene Wirkung war ihm entfallen, er wusste nur noch, dass sie ihm seinem Naturell entgegenkommend erschienen war.
    Doch zum Glück hatte er für Notfälle wie diesen in der Futterluke der ‚Goldenen Zellentür‘ noch eine Flasche Whisky versteckt, und die ging er nun holen.
    Okay, die ‚Goldene Zellentür‘: ein Literaturpreis, eine Replik im Maßstab 1:1, verliehen für ‚herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Kriminalliteratur‘ von der Firma Beltz & Boob, dem Hersteller von ‚CelldoorAnticrisis‘, einem Rechnerprogramm zur ‚selbständigen Lösung von Krisensituationen innerhalb des kreativen Prozesses‘, so die Werbung. Windell hatte den Einsatz der ebenfalls in der Luke untergebrachten CD bis heute hartnäckig für unter seiner Würde erachtet, den Preis aber gern entgegengenommen und die ganz in goldenem Kunststoff gehaltene Zellentür voller Stolz direkt gegenüber der Eingangstür an die Wand gelehnt.
    Elmo zog die Luke auf, griff hinein, holte die Flasche hervor und Folkmar hatte sie im nächsten Augenblick gepackt, geöffnet und senkrecht gestellt.
    „Ja, und jetzt?“, fragte Elmo und sah den Inhalt in beängstigendem Maße schwinden. „Wie soll es weitergehen?“
    „Und jetzt?“ Folkmar keuchte und schwankte, immer noch vollkommen außer sich, ließ sich die Flasche aber abnehmen. „Jetzt? Soll ich dir sagen, was ich ihnen jetzt schreiben soll? Eine Frau! “
    Und Elmo spie Whisky durch das halbe Wohnzimmer.
    Hohl klang die kleine Glocke im Turm der Kapelle am Rande des Friedhofs von Red Hook, Brooklyn, hohl und verloren. Auch sie schien sich schwer zu tun mit diesem Verlust.
    Said Wainda wusste selbstredend um die letzten Wünsche seines gemeuchelten Meisters, und so erwartete die Trauernden in der kleinen Kapelle ein offener Sarg.
    Man durfte davon ausgehen, dass zu der Trauerfeier eines solchen Mannes nur Weggefährten der hartgesottenen Sorte erscheinen würden, und doch war Said Wainda bei weitem nicht der Einzige, der sich erbrochen hatte beim Anblick des aus dem Schädeldach ragenden Bügeleisens. SelbstMcIntyme war sichtlich erbleicht. Er war es auch, der die Trauerrede hielt. Schweigen senkte sich über die kleine Kapelle, das Schweigen zusammengebissener Zähne über Gefühlen von Schmerz und Wut und Gedanken an Rache, als der Chief Inspector vortrat.
    „Leute“, rief er, wie er es von Reden gewohnt war, mit denen er seine Männer hinausschickte in den Kampf, in dem Jack Knife ihm so lange zur Seite gestanden hatte, „wir trauern hier um einen Mann, wie es keinen Zweiten geben wird.“
    Beifall brandete.
    „Sein ganzes, hartes Leben lang schwebte Jack Knife wie ein unbestechlicher, bleispeiender Zeppelin über dem Abschaum dieser Stadt. Wer, frage ich, wer nur soll jemals in seine Fußstapfen treten? Wer?“
    Und eine mannhafte Träne bahnte sich ihren Weg die versteinerten Züge des Chief Inspectors hinab.
    Ein letzter Tribut.
    Ende
    *
    „Ein ‚unbestechlicher bleispeiender Zeppelin‘?“, fragte Elmo, das Manuskript in Händen. „Ist das dein Ernst?“
    „Das … das ist Poesie“, verteidigte sich
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