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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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kommen, oder? Wir misstrauen Pauschalurteilen. Vietnam war eine Katastrophe, der Zweite Weltkrieg war für uns ein Erfolg – aber es hätte beides auch anders ausgehen können. Jede neue Situation ist einzigartig und nicht einfach eine Wiederholung der Geschichte, weil wir uns einzigartig finden und nicht bloß als Neuauflage unserer Urgroßeltern sehen. In diesem Sinne denken wir wie … na ja, eigentlich genau wie unsere Urgroßeltern.
    Seit den Zeiten der Puritaner hat jeder Amerikaner die Pflicht, unseren Staat immer wieder neu zu erschaffen. Deswegen die ständige Diskussion in unserer Popkultur, wie denn unser Land aussehen soll; deshalb die vielen Utopien, die vielen Träumer, die vielen Verrückten in der Politik, die vielen neuen Ideen, die Hybris: Von Geburt an weiß jeder Ami, auch sein Leben ist ein Experiment.
    Ich denke oft an die Frage, die mein Vater am Esstisch gerne aufbrachte: Wird Amerika fallen?
    Es ist eine seltsame Frage. Ich habe nie gehört, dass ein Franzose, Kanadier oder Chinese sich dergleichen fragt. Ich habe oft gehört, wie die Deutschen zum Beispiel überlegen: »Ob wir die D-Mark wiederkriegen?« Oder: »Was passiert, wenn diese Griechen nicht zur Vernunft kommen?« Ja, auch dieses Thema kann ich mir an deutschen Esstischen vorstellen. Aber: »Wird Deutschland untergehen?« Das eher nicht.
    Dabei war es kein Spleen meines Vaters. Wir alle stellen uns diese Frage. Und zwar seit über 200 Jahren, fast tagtäglich.
    Mal ist die Bedrohung mystischer Art, wie in den »culture wars«, wenn konservative Christen befürchten, Amerika hätte seinen Bund mit Gott gebrochen. Mal ist sie ökonomischer Natur: Was passiert, wenn China reicher wird als wir? Wie hoch können die Haushaltsschulden eigentlich noch steigen, bis der Staat zusammenbricht? Was, wenn die Mittelklasse ganz verschwindet? Liebt uns die Welt da draußen eigentlich noch mehr, als sie uns hasst? Oder politischer: Wenn wir sehen, wie polarisiert und verzwickt die Beziehungen zwischen Republikanern und Demokraten im Kongress sind, ahnen wir, dass jede Seite bereit wäre, das ganze Land zum Teufel fahren zu lassen, nur damit sie recht behält.
    Manchmal erlangt die Furcht vor dem Fall ein nahezu episches, weltgeschichtliches Flair. Nach den Attacken vom 11. September war auch ich von einer ausweglosen schwarzen Angst erfüllt, und ich dachte: Die Barbaren stehen vor den Toren und sind entschlossener, stärker, gewalttätiger als wir – wir sind zu schwach, zu eigensüchtig, zu zerstritten, um sie zu bekämpfen; sie werden wachsen, sie werden immer wieder angreifen, bis irgendwann in zwei oder drei Generationen meine Heimat verschwunden ist und die Terroristen und Mörder von heute als Freiheitskämpfer, Märtyrer und Staatsgründer gefeiert werden.
    So was kann passieren. Die Wahrheit ist: Jedes Land verschwindet irgendwann, das wird auch den Vereinigten Staaten geschehen. Eines Tages wird womöglich der Klimawandel seinen Tribut fordern, und unsere Kornkammer wird langsam schrumpfen. Eines Tages wird unser Reich vielleicht zu groß und bevölkert sein, um alle Einwohner angemessen versorgen zu können, und es wird kollabieren wie Cahokia. Oder es wird etwas anderes, völlig Unerwartetes geschehen wie 2001.
    Es ist komisch, was man findet, wenn man in der Geschichte des eigenen Landes herumwühlt. Sehr viel Dreck, sehr viele erschreckende Überraschungen, mit denen man nicht gerechnet hatte. Als Kind war ich pikiert zu erfahren, dass meine Kirche tatsächlich einmal Vielweiberei praktizierte. Als Erwachsener hatte ich immer noch keine Ahnung davon, dass der Ku-Klux-Klan es tatsächlich schaffte, 100 Jahre lang die Verfassung zu untergraben, und dass Politiker das zuließen.
    Wie anders wir wirklich sind, verstehe ich erst, seit ich nun schon so viele Jahre in Deutschland lebe. Hier läuft alles etwas glatter als in den USA . Das Sozialsystem ist besser, die starke Wirtschaft ist geregelter und stabiler. Es ist schön, in einem Staat zu leben, wo Politik ohne jede Hysterie diskutiert werden kann, ja, wo es zum schlechten Ton gehört, ein Staatsoberhaupt als »Hitler« zu beschimpfen (das darf man in Europa nur, wenn man Grieche ist). Es ist schön, zu Gast bei Leuten zu sein, die seit Jahrzehnten keine größeren Bombardierungen anderer Länder vorgenommen haben und diese relativ friedliche Außenpolitik wohl auch noch einige Jahre weiter beibehalten werden. (Es sei denn, die Griechen wollen es so!)
    Das allgemeine Lebensgefühl
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