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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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Mal wurde sie gehängt.
    Niemand wollte sie umbringen, ehrlich. Immer wieder bekam sie Gelegenheit, das Gesetz zu befolgen und einfach zu verschwinden. Doch Mary Dyer war eine stahlharte Frau. Selbst auf dem Weg zum Galgen, als ihr nochmals angeboten wurde, die Stadt einfach zu verlassen, war ihre Antwort: »Ich bin gekommen, um Blutschuld von euch zu nehmen, mit der Bitte, dass ihr das falsche und ungerechte Gesetz gegen unschuldige Diener des Herren aufhebt. Nein, Mann, jetzt kehre ich nicht mehr um.«
    Was hätte man machen können? Die Puritaner wollten ja den perfekten Gottesstaat aufbauen, das war der ganze Sinn der Sache. Wenn sich andere Glaubensrichtungen einschlichen, dann ging das nicht. Bald war man ein Staat wie alle anderen auch, kompromittiert und korrumpiert. Irgendwann musste man konsequent sein und auch harte Entscheidungen fällen.
    Aber irgendwie war der Himmel noch weiter weg als vorher.
    Das Städtchen Salem – nach dem hebräischen Wort für Frieden (»Schalom«) – war die erste Niederlassung der Puritaner, aber 1692 neben Boston erst ein Dorf. Das war das Jahr, in dem zwei junge Mädchen mit unerklärlichen Anfällen zum Arzt geschickt wurden.
    Was heißt Anfälle? Sie schrien, warfen mit Gegenständen, stießen seltsame Geräusche aus, verkrochen sich unter Tische und verbogen ihre Körper auf unnatürliche Weise. Sie klagten, es fühle sich an wie tausend Nadeln unter der Haut. Möglicherweise war es eine Mutterkornvergiftung, doch das ist nur eine Theorie. Meine Erklärung: Sie waren unausstehliche kleine Zicken. Die Ärzte damals konnten keine Krankheit finden und kamen zu der einzig logischen Schlussfolgerung: Es konnte bloß der Teufel dahinterstecken. Um mit ihrer Diagnose ganz sicherzugehen, baten sie die Mädchen um ihre Meinung, und diese bestätigten die Vermutung.
    Nicht nur das. Sie nannten auch gleich die Namen dreier Hexen im Dorf: Eine 39-jährige Obdachlose, die bettelnd von Tür zu Tür zog und gern unvermittelt Drohungen ausstieß; eine reiche, kranke Witwe, die kürzlich einen Taugenichts geheiratet und sich seitdem in sinnlose Rechtsstreitigkeiten im Dorf verstrickt hatte, und Tituba, eine schwarze oder vielleicht auch indianische Haussklavin. Alle drei Frauen kamen vor Gericht.
    Die Prozesse müssen sehr unterhaltsam gewesen sein. Als die »Hexen« vorgeführt wurden, wiegten sich ihre Opfer in Schmerzen und Angst hin und her und warfen sich auf den Boden. Die Nachbarn erzählten wilde Geschichten von nächtlichen Besenritten durch die Luft. Der Ehemann einer der Damen erwähnte ein teuflisches Mal auf ihrem Körper, und die sechsjährige Tochter der Hexe beschrieb, wie die Mama einmal mit dem Teufel rumgemacht habe. Entweder waren die Damen tatsächlich Hexen oder extrem unbeliebt.
    Eine der Frauen starb im Gefängnis. Eine weitere wurde aufgehängt. Aus völlig unerfindlichen Gründen – wer weiß, vielleicht durch schwarze Magie – wurde Tituba indes freigelassen und ward nie wieder gesehen.
    Das war erst der Anfang. Ein Schneeballeffekt wurde ausgelöst. Ähnlich wie bei den Missbrauchsprozessen aufgrund »verdrängter Erinnerung« in den 1990er Jahren trauten sich nun immer mehr traumatisierte Opfer von Hexerei in die Öffentlichkeit. Bis zum Mai des folgenden Jahres wurden mehr als 150 Menschen verhaftet, 29 wurden der Hexerei für schuldig befunden. Von diesen wurden 14 Frauen und 5 Männer erhängt. Ein Mann war besonders stur und weigerte sich penetrant, sich vor Gericht zu äußern. Um eine Aussage zu erzwingen, wurde er unter schwere Steine gelegt. Ob er in letzter Sekunde dann doch reden wollte, wissen wir nicht, denn er wurde zermalmt.
    Heute, in unserer aufgeklärten, wissenschaftlich orientierten Gesellschaft, fragt man mit Erstaunen: »Ist denn niemandem aufgefallen, wie unsinnig das alles war?«
    Die Antwort ist: Doch!
    Schon während der Prozesse hat man sich gefragt, was man hier denn eigentlich tue. Besonders das Mittel der »spectral evidence« – »Beweise durch den Geist« – wurde angeprangert. Das war die rechtlich völlig unbedenkliche Praxis, die Träume der Opfer vor Gericht als Beweis zuzulassen. Selbst der berühmte Puritaner Increase Mather schrieb: »Besser, es kommen zehn der Hexerei Verdächtige davon, als dass auch nur ein Unschuldiger verurteilt wird.«
    Doch die meisten konnten erst wieder klar denken, nachdem die Prozesse vorbei waren. 1695 schrieb der Quäker Thomas Maule ein Buch, in dem er die Hexenprozesse kritisierte. Er
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