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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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bringt, obwohl sein Chef ihn immer wieder davon abhalten will, wird uns die Hilflosigkeit des eigenen Systems vor Augen geführt. Sind wir als Rechtsstaat zu schwach geworden? Überfordern wir unsere Beamten, die ihre Arbeit machen wollen, mit zu vielen Auflagen? Ist unser Land überzivilisiert und hilflos?
    Wird Amerika fallen?
    Ich bin immer wieder überrascht, dass diese Fragen in Europa kaum gestellt werden.
    Als 2002 die Entführung und der Mord am jungen Jakob von Metzler in den Medien für Aufregung sorgten, fiel mir etwas Merkwürdiges auf. Der Entführer Magnus Gäfgen wurde von der Polizei vernommen, dabei wurde ihm massive Gewalt angedroht, wenn er nicht verrate, wo er den Jungen gefangen halte. Gäfgen verriet das Versteck. Das sollte Konsequenzen haben: Selbst die Androhung von Gewalt wird in Deutschland als eine Art Folter angesehen, was ja verboten ist, und Polizeipräsident Wolfgang Daschner wurde später dafür vor Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt.
    Daschner schuldig zu sprechen, obwohl sein Handeln erfolgreich war (wenn es auch dem Opfer nicht mehr half), war natürlich paradox, und viele Deutsche haben es auch so empfunden. Aber nicht sehr viele. Die Diskussion, ob man das mit dem Folterverbot nicht ein wenig übertreibe, fand kaum einen Widerhall in den Schlagzeilen, die sich schon am nächsten Tag wieder den üblichen Skandalen wie Dienstwagenaffären widmeten.
    In Amerika wären dafür Köpfe gerollt. Politische Karrieren wären zu Ende gewesen, Parteien hätten ihre Programme umgebaut, Gesetze wären im Kongress eingebracht worden, die mehr Folter auf Polizeistationen erlaubt hätten, Gegendemonstranten wären aufmarschiert.
    In Deutschland ist dieses Thema abgeschlossen. Man nimmt das Widersprüchliche schmerzhaft wahr und macht weiter. Das gibt es nur in einem Staat, in dem die schwierigen Fragen schon beantwortet sind. Ich muss sagen: Alle Achtung.
    Wir in Amerika haben die »richtigen« Antworten auf diese Fragen noch lange nicht gefunden. Das Paradoxon, dass Folter Leben retten kann und trotzdem verboten werden muss, wollen viele Amerikaner nicht akzeptieren. Deshalb wird es in Blogs, Zeitungen, im Fernsehen und in der Popkultur immer wieder diskutiert: Zum Bespiel in der Folter- und Spionageserie 24 . Gewalt ist das »nation building«-Thema der Filmkultur schlechthin.
    Der altehrwürdige Filmklassiker High Noon gilt geradezu als Symbol amerikanischer Gewaltbereitschaft: Der Cowboy greift gleich zur Waffe, Kompromisse kennt er nicht, die Amerikaner sind nicht fähig zu diskutieren, sie können immer nur schießen, sie kennen es nicht anders. Wenn eine Zeitung High Noon titelt, weiß man: Es knallt gleich.
    Der Film selbst ist das genaue Gegenteil. Die ganze Zeit über wird nur diskutiert.
    Gary Cooper spielt einen ehemaligen Marshall, der auf die Ankunft eines Schurken wartet, der ihm im Gerichtssaal ewige Rache schwor und sein Versprechen nun in die Tat umsetzen will. Das Problem: Cooper hat gerade die schöne Quäkerin Grace Kelly geheiratet und ihren Glauben angenommen. Er ist Pazifist geworden.
    Weil er nicht kämpfen kann, wird er vermutlich vom Bösewicht umgepustet werden. Die Städter sind ängstlich, werden ihm nicht zur Seite stehen und raten ihm zu gehen. Das würde ihm vielleicht das Leben retten, dann jedoch wäre die Stadt selbst in Gefahr.
    Der ganze Film ist ein einziger Dialog über Angst, Mut und Verantwortung: Soll Cooper bleiben und wahrscheinlich sterben? Zur Waffe greifen, seine Prinzipien verraten und die Welt vom Bösen befreien? Auch wenn er von den Bürgern, die er ja beschützen will, keine Hilfe und keinen Dank erwarten kann?
    High Noon kam 1952 heraus und wurde von dem aus Österreich geflohenen Juden Fred Zinnemann gedreht. Genau wie Amerika als Weltpolizist kurz davor mitgeholfen hatte, die Nazis zu besiegen, hat jetzt »Weltpolizist« Gary Cooper die Verpflichtung zu kämpfen. Und er weiß, er wird dafür keine Lorbeeren ernten. Soll er sich »City on the Hill«-mäßig einmischen, oder soll er Isolationist bleiben und den Problemen der Welt, die er vermutlich sowieso nicht lösen kann, den Rücken kehren und wegfahren? Ignorieren, dass die Probleme ihn höchstwahrscheinlich immer wieder einholen werden?
    All dies ist nach wie vor, wenn man ehrlich ist, eine offene Frage, und genau aus diesem Grund wird bei uns immer noch über Grundsätze gestritten. Selbst wenn wir unsere Lektion gelernt haben, wird weiter diskutiert: Diesmal könnte es ja anders
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