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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues
Autoren: Julia Gaebel
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verschwand sie im Schnee.

    Als wolle sie vermeiden, entdeckt zu werden, unsichtbar für Augen, die ungebeten waren.
    Wer genau hinsah, sah die zugewucherte Veranda, die aussah, als habe sich seit Jahren niemand gekümmert. Die Bank war morsch und schief, die Farbe war im Laufe der Jahre vom Holz abgeblättert. Stolz wehrte die Hütte sich dagegen, gut auszusehen, fast so wie Dick.
    Pitty war aufgewacht und betrachtete Dick, sah seine braunen Haare und, zum ersten Mal seit sie sich kannten, einen Gesichtsausdruck, der etwas Friedliches hatte.
    Langsam streckte sie ihre Hand vor, fuhr über die braune Wolldecke, strich sie glatt.
    Pitty spürte unter ihrer Handfläche sein Atmen, fühlte, wie sich sein Brustkorb hob und senkte, sah, wie sich beim Ausatmen sein Mund leicht öffnete und seine Lippen trockneten.
    Ein und aus. Sie hob leicht die Hand, die nahe über seinem Brustkorb schwebte, und legte sie auf seinem Herzen ab. Sie spürte seinen Herzschlag. Sein Körper strahlte so viel Wärme ab, dass sie in Pitty überging.
    Sie stand auf und ging zum Fenster. Die Kälte war die einfach verglasten Scheiben in Form von Eisblumen hochgekrabbelt, ihr Blick blieb an den Kristallen hängen. Sie sah ihren Atem in den klaren Linien verschwinden. Sie sah sich weggehen. Ihr Herz federte zwischen Fenster und Bett. Und Pitty wusste, wenn sie zu stark daran zerrte, würde es direkt durch die Eisblumen nach draußen in den Schnee fliegen und dort erfrieren. Sie würde es besser da lassen, wo es jetzt hingehörte.

    Auch wenn du die Strömung des Flusses nicht siehst, du spürst sie als Teil deiner selbst, sie nimmt dich mit, sie wiegt dich, sie verführt dich. Morgens, ganz früh, wenn die Nebelschwaden über dem Wasser aufsteigen, da hörst du sie flüstern. Sie sagt dir, du gehörst zu ihr. Und du kannst dir nichts vorstellen, was mehr Frieden bieten könnte, mehr vom Paradies. Bis zu dem Augenblick, in dem ein Fisch die ruhige, dunkle Fläche durchbricht und sich ein Insekt greift, sich die Wellen ausbreiten und du weißt, dass du da unten schlicht und ergreifend verrecken würdest.
    Moe war auf der Suche nach Schlaf am Flussufer gestrandet und schaute aufs Wasser. Er war nicht mehr gespannt, was der Tag bringen würde, er würde es ohnehin erfahren, früher oder später, und am Ende würde es auch wieder Abend werden.
    Er wischte sich einen Sitzplatz frei und setzte sich auf die Bank, die er sich gebaut und ans Ufer gestellt hatte.
    Die kalte Nässe durchdrang seine Hose und seine Jacke. Moe erinnerte dieses Gefühl, sein Blick wurde zu Reif, den er im Uferschilf sah.
    Und während Moe die Augen schloss, um dem fallenden Schnee und seinen Gedanken zuzuhören, zog sich Pitty langsam an.
     
    Mort Cassis’ Schlafzimmer war eigentlich kein richtiges Schlafzimmer. Es war eine Abstellkammer in seinem Haus. Und Cassis wachte in dieser kleinen Abstellkammer auf und fühlte sich verschnupft.
    Seine Haut schrumpfte mit jedem Atemzug, und sein
Körper wurde ihm zu eng. Seine Latzhose lag neben der Pritsche, er sammelte sie auf, zog sie an und schlurfte zum Hauseingang. Er machte sich nicht die Mühe, Socken anzuziehen, und freute sich darüber, dass ihm niemand sagte, er solle Socken anziehen. Er stieg barfuß in seine Stiefel und freute sich darüber, dass ihm niemand sagte, er solle sie zuschnüren. Er warf sich seine Jacke über und freute sich, dass ihm niemand sagte, er solle einen Pullover drunterziehen. Er stapfte einfach so, wie er war, aus dem Haus und ging direkt auf die Straße, legte seinen Kopf in den Nacken und blinzelte in die graue Helligkeit. Und er merkte, dass die Freude keine Freude war, weil er es sich sagen musste, dass er sich freute. Weil ihn das Mühe kostete.
    Aber weil Mort niemand war, der sich mal eben so entmutigen ließ, erst recht nicht im Geiste, beschloss er, selbst dafür zu sorgen, dass er sich wieder gut fühlte. Und er wusste auch schon, wie.
    Und während Mort Cassis seinen Hintern zu Vera lenkte, zog Pitty Pruitt leise die Tür von Dick TreLukes Haus hinter sich zu und verließ Rickville so geräuschlos und heimlich, wie sie gekommen war.
     
    Die anderen Bewohner Rickvilles schoben sich langsam in den Tag und kleckerten für das Frühstück zu Vera, als Dick endlich aufwachte.
    Er dachte an Pitty, und bei dem Gedanken ging in Dicks Schlafzimmer die Sonne auf. Erst rotorange, dann in einem strahlenden Gelb, das immer heller und immer weißer wurde. Man konnte keine Möbel mehr erkennen,
die Wände
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