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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht
Autoren: Andrej Kurkow
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die echte Antarktis.«
    Sie gingen weiter zu dem Generatorhäuschen, in dem der Dieselmotor brummte, dann kamen sie an ein verschlossenes Laboratorium, in dem Magnetfeldmessungen gemacht wurden.
    »Hier auf der Station ist ein Mann aus Moskau, mein Namensvetter«, sagte Stas plötzlich, nachdem er sich nach allen Seiten umgesehen und sich davon überzeugt hatte, daß niemand in der Nähe war. »Es geht ihm ziemlich mies, er liegt im Krankentrakt. Ich habe ihm von dir erzählt, und er wollte dich gern kennenlernen. Besuchst du ihn mal?«
    »Warum nicht?« sagte Viktor achselzuckend.
    Sie kehrten ins Hauptgebäude zurück. Viktor ging auf sein Zimmer, und Stas versprach, ihn in einer Stunde abzuholen.
    Der kranke Moskauer erwies sich als großgewachsener Mann um die Vierzig. Die Pritsche der Krankenabteilung war für ihn ein bißchen zu kurz. Er lag auf dem Rücken und hatte die Beine leicht angewinkelt. Sein großes Gesicht war so bleich, daß das Wort ›krank‹ in Viktors Kopf gleich eine ernstere Bedeutung bekam.
    Stas, der Extremologe, verschwand und ließ sie allein.
    »Und was machst du hier?« fragte der Moskauer ruhig und traurig, während er Viktor aus geschwollenen Augen ansah.
    »Nur so, mich mal umsehen…«
    »Ach komm, lassen wir das.« Der Moskauer seufzte. »Ich bin der Bankier Stanislaw Bronikowski. Ich verstecke [9] mich hier. Zu Hause haben sie mich reingelegt. Siehst du, ich sage dir gleich die Wahrheit. Und was machst du hier?«
    »Ich verstecke mich auch«, gestand Viktor, entwaffnet durch die Ehrlichkeit des Bankiers.
    »Das ist gut«, sagte Bronikowski.
    »Was ist daran gut?« wunderte sich Viktor.
    »Nichts. Es ist einfach gut, daß wir Kollegen sind. Du hättest ja auch jemand sein können, den sie geschickt haben, um mich zu töten…«
    Viktor betrachtete den Bankier mitfühlend, aber verständnislos.
    »Ich weiß ja, daß das nicht stimmt… Na ja, sie haben mich schließlich auch hier gekriegt…«
    Es herrschte eine Pause von einigen Minuten, und Viktor schickte sich schon an, dieses stille Krankenzimmer zu verlassen, aber der Bankier hatte Viktors Absicht gespürt und wandte ihm wieder den Blick zu.
    »Komm öfter mal vorbei. Ich habe ein Schachspiel hier… Ich kann dir helfen!« sagte er geheimnisvoll.
    Viktor ging, nachdem er versprochen hatte, in ein paar Stunden wiederzukommen. Von da an ging er wirklich oft zu Bronikowski – Zeit hatte Viktor ja reichlich. Es war ziemlich kalt draußen, wenn auch viel wärmer, als er gedacht hatte. Nur minus fünfzehn Grad. Aber die Heizung im Wohngebäude funktionierte hervorragend. Und in der Krankenabteilung erst recht. So spielten er und Bronikowski Schach und unterhielten sich dabei über alles mögliche. Viktor merkte manchmal, daß der Bankier ihn mit seinen Fragen ausforschte, doch das war nicht weiter sonderbar. Bronikowski litt eindeutig an [10] Verfolgungswahn. Und das in fortgeschrittenem Stadium. Viktor selbst hätte nie gedacht, daß man ihm, Viktor Solotarew, einen Killer in die Antarktis hinterherschicken könnte. Wer war er denn schließlich? Aber dieser Bankier war tatsächlich eine wichtigere Figur. In der Schachsprache ausgedrückt – eine Königin. Also waren Bronikowskis Befürchtungen vielleicht gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt. Außerdem schritt seine seltsame Krankheit weiter fort, und der Arzt stopfte ihn zwar mit Antibiotika voll, konnte aber keine genaue Diagnose stellen. Er redete auch einmal von einer Fahrt zu den Amerikanern auf der Station ›Palmer‹, das war dreihundert Kilometer entfernt, ließ die Idee dann aber selber fallen.
    Der Bankier klagte zu dem Zeitpunkt über Bauchschmerzen und aß fast nichts. Allein seine Körperfülle machte es ihm offenbar möglich, von den früher im Körper angesammelten Vorräten zu zehren wie ein Kamel.
    Eines Tages bemerkte Viktor, daß Bronikowskis Blässe einen neuen, bläulichen Ton angenommen hatte. An dem Tag flüsterte der Bankier Viktor zu: »Ich weiß, wer mich vergiftet hat!« Aber weiter sagte er nichts mehr.
    Er bezwang die Schmerzen und spielte mit Viktor Schach – und verlor schweigend. Nach dem Spiel holte er unter dem Bett eine halbvolle Flasche argentinischen Wodka heraus. Viktor hatte dieses Getränk hier schon probiert und keinen großen Gefallen daran gefunden.
    »Hör zu«, sagte Bronikowski, während er den Wodka in zwei Tassen goß. »Ich habe einen Vorschlag und gleichzeitig eine Bitte an dich!«
    Viktor sah den kranken Bankier
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