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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht
Autoren: Andrej Kurkow
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der Croupier Viktors Jetons mechanisch mit seinem Rechen einstrich und sie in das Loch schob, in dem alles Verlorene verschwand. Der, dem das alles in den Schoß fiel, mußte mit jedem Spiel reicher werden.
    ›Nein, das reicht‹, dachte Viktor und stoppte seine Hand, die schon zu seinem Jetontütchen in der Jackentasche unterwegs war. Er trat einen Schritt zurück und beobachtete noch etwa zehn Minuten das Spiel der anderen. Eine Kellnerin kam mit einem Tablett – der Gratischampagner sollte die Verbitterung über die andauernde Glücklosigkeit versüßen. Viktor ging zur Umtauschkasse.
    Zuerst spähte er in das Fensterchen und überzeugte sich davon, daß jemand drin saß.
    [26] »Wechseln Sie Jetons wieder ein?« fragte er.
    »Sie haben gewonnen?« kam zur Antwort.
    »Ja.« Viktor schob eine Handvoll bunter Jetons aus seinem Tütchen ins Fenster. »Das sind noch nicht alle.«
    »Sie hatten Glück!« bemerkte der Wechsler, aber seine Stimme klang angespannt.
    »Zehn Prozent für dich«, sagte Viktor, beugte sich vor und sah dem Mann direkt in die Augen.
    Der Mann nickte, und da zog Viktor auch die restlichen Jetons aus der Tasche.
    »Ziemlich viel«, sagte der Mann leise.
    »Zähl erst mal, dann sehen wir weiter…«
    Viktor richtete sich auf. Er hörte den schweren Atem des Mannes, der hinter dem Fenster die Jetons nach Farben sortierte und zählte.
    »Das wären achthundert Dollar«, kam die Stimme des Mannes.
    Viktor lächelte großzügig. Nach seiner Rechnung hatte der Mann sich um das Dreifache ›vertan‹, aber er würde nicht mit ihm streiten.
    »Also gut, gib mir achthundert…«
    Im Foyer begab Viktor sich zur Toilette, schloß sich in eine Kabine ein und zählte die grünen Scheine, wobei er feststellte, daß der Wechsler ihm von den versprochenen achthundert nur siebenhundertsechzig gegeben hatte, aber auch das rief keinen Protest in ihm hervor. Er betrachtete sich ohnedies als Gewinner – er hatte ja Spielgeld in echtes Geld getauscht und nicht umgekehrt.
    Das einzige, was ihn ein wenig bedrückte, war das Resultat seines heutigen Spiels: Mit seinem Glück war es [27] offensichtlich vorbei. Das war natürlich kein endgültiges Urteil, er konnte immer noch versuchen, beim Schicksal Berufung einzulegen. Aber wie das dann überprüfen? Ins Kasino würde er nicht mehr gehen. Zweimal im Leben reichte völlig, ein erstes Mal und ein letztes.
    4
    Offenbar war auf Viktors Gesicht sogar im Halbdunkel der abendlichen Stadt abzulesen, daß er fast achthundert Dollar in der Tasche hatte. Jedenfalls ging er aufrecht mit festem Schritt die Kreschtschatik-Straße entlang, ohne den Entgegenkommenden auszuweichen, die einen Bogen um ihn schlagen mußten, und unterwegs wurde er zweimal von diesen sogar für einen Sommerabend viel zu leicht gekleideten Mädchen angesprochen. Fünf Minuten hinter dem Café ›Grotte‹ sprach ihn ein drittes Mädchen an. Sie trug einen Bubikopf und eine riesige, auf die Stirn hochgeschobene Sonnenbrille: »Nicht so eilig, du übersiehst mich ja!« Erstaunt blieb er stehen und betrachtete sie: klein, zart, in allem eine Miniaturausgabe.
    »Na?« sagte er, und sie lächelte strahlend und ließ die monströse Brille auf die Nase rutschen, was jetzt nicht nur ihre Augen, sondern fast das ganze Gesicht verbarg. Nur das Lächeln unterhalb der Brille blieb.
    »Weißt du, wo man hingehen kann?« fragte Viktor plötzlich, ohne ihre Antwort abzuwarten. Und es wäre ja auch irgendwie peinlich gewesen, auf so ein »Na?« zu antworten.
    [28] »Ja«, nickte das Mädchen. »Komm!«
    »Warte.« Viktor fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Unterlippe und überlegte. »Und was weiter? Wieviel soll es kosten?«
    »Du hast genug.« Das Mädchen schob die Brille wieder nach oben. »Steck es weiter rein, sonst verlierst du es noch.« Sie beugte sich vor, streckte ihre kleine Hand nach seiner linken Jackentasche aus, zog den dort hervorlugenden grünen Hunderter heraus und wedelte mit ihm vor Viktors Gesicht herum; dann faltete sie den Schein in der Mitte zusammen und schob ihn wieder zurück in Viktors Jacke.
    »Willst du protzen?« fragte sie.
    »Nein, ich bin ein zerstreuter Mensch. Wie heißt du denn?«
    »Sweta, und du?«
    »Witja…«
    »Na gut, Witek, dann mal los!«
    Sie liefen zum Kinotheater ›Freundschaft‹ hinauf. Weiter führte Sweta Viktor über die Luteranskaja Richtung Petscherskviertel. Viktor ging einen halben Meter hinter Sweta und betrachtete abwechselnd die Umgebung und das Mädchen.
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