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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition)
Autoren: Andrej Kurkow
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störte die Stille. Daneben stand ein Lastenfahrstuhl offen. Die kleine Lampe auf der Anzeigetafel des Personenlifts zeigte dessen langsamen Weg nach oben an. Schließlich hörte das Brummen auf. Die Lampe zeigte den dreizehnten Stock an.
    Viktor stieg in den Lastenfahrstuhl und drückte die dreizehnte Etage.
    Als er aus dem Fahrstuhl stieg, sah er sich einer mit Graffiti bemalten Wand gegenüber, an der leere Pappkartons lagen.
    Vom Treppenabsatz führte eine Tür in einen langen dunklen Flur. Es roch nach Hunden.
    Viktor ging horchend an den Haustüren entlang. Hinter einer fing ein Hund hysterisch an zu kläffen. Am Ende des Flurs war ein kleines Fenster, dessen Lichtkegel aber nicht einmal bis zur Mitte des Flurs reichte, wo sich der Fahrstuhl befand.
    Vom dunklen Teil des Flurs aus horchte Viktor wieder. Neben einer Tür stand ein Kinderfahrrad, neben der gegenüberliegenden Tür war eine vertikale, den ganzen Stock durchlaufende Wasser- oder Gasleitung, an die eine Autohaube mittels eines Hängeschlosses festgekettet war. Viktor schlich ganz nah an diese Tür heran. Ein undeutliches Geräusch drang an sein Ohr, eine Tür knarrte drinnen, er hörte die Toilettenspülung.
    Viktor hatte sich an das Halbdunkel in diesem Teil des Flurs gewöhnt und starrte auf die mit braunem Kunstleder bespannte Tür. Er hatte schon die Hand an dem schwarzen Klingelknopf und die Füße auf dem zerknüllten Lumpen vor der Tür abgetreten, als ihn seine altbekannte, teilweise verständliche Unentschlossenheit überkam: ›Lohnt es sich hineinzugehen und den Grund für die Neugier dieses Fettsacks zu erfahren? Und wenn der ihm nun nichts sagen wollte?‹ dachte er.
    Viktors Hand berührte die Pistole, die immer noch auf der Hüfte hing. Und als habe er sich vergewissern wollen, daß die Pistole noch da war, seufzte er erleichtert auf.
    ›Jeder Mensch hat das Recht, seine Neugier zu stillen‹, dachte er. ›Jetzt bin ich an der Reihe.‹
    Er drückte entschlossen auf den schwarzen Klingelknopf.
    Das Klingelzeichen spielte ein Motiv aus Moskauer Nächte. Hinter der Tür waren schlurfende Schritte zu hören.
    »Wer ist da?« fragte eine heisere Männerstimme.
    »Ein Nachbar«, antwortete Viktor.
    Ein Schloß schnappte und die Tür ging auf. Ein aufgedunserer beleibter Mann von etwa fünfzig Jahren, in Schlafanzughosen und einem Unterhemd guckte heraus.
    Viktor starrte einen Augenblick in das unrasierte runde Gesicht des Mannes.
    »Was wollen Sie denn?« fragte der.
    Viktor stürzte mit aller Wucht nach vorn, schob den verblüfften Hausherrn beiseite, sah sich in allen Ecken um, und entdeckte den Dicken, der aus dem Bad kam und neben der Badezimmertür erstarrte.
    »Zu wem wollen Sie?« brachte der Mann in den Schlafanzughosen wieder heraus.
    »Zu ihm!« Viktor zeigte auf den Dicken.
    Der Mann sah jetzt ebenfalls den Dicken an.
    »Kolja, zu dir?« fragte er verwundert.
    Kolja zuckte erschrocken mit den Schultern.
    »Wer sind Sie?« fragte er nach einer Minute.
    Viktor schüttelte erstaunt den Kopf.
    »Na, du machst mir Spaß!« sagte er, ging auf ihn zu und schob ihn in die Küche.
    »Was wollen Sie?« fragte der Dicke wieder, mit dem Rücken zum Fenster.
    »Ich wollte nur fragen, wozu du mein Foto brauchst und überhaupt, wieso du dich für mein Leben so interessierst?«
    Dem Dicken ging ein Licht auf, er sah den ungebetenen Gast an und überlegte. Er griff langsam in die Innentasche seines weißen Sommerjacketts und zog ein Foto heraus.
    Abwechselnd betrachtete er das Foto und Viktor. Er war total verwirrt, und genau das gab Viktor Kraft und Frechheit.
    »Ich höre!« Viktors Stimme hatte einen drohenden Unterton.
    Der Dicke schwieg.
    Viktor zog langsam den Reißverschluß seiner Windjacke auf, holte aus der Jeanstasche die Pistole, richtete sie aber nicht auf den Dicken, sondern zeigte sie ihm nur mit einem angespannten Lächeln.
    Der Dicke leckte sich die Lippen, als wären sie ausgetrocknet.
    »Ich darf nicht…«, sagte er mit zitternder Stimme.
    Hinter seinem Rücken hörte Viktor schlurfende Schritte. Er drehte sich um und blickte in ebenfalls erschrockene Augen: Vor ihm stand der Mann in den Schlafanzughosen.
    Viktor richtete die Pistole auf ihn.
    »Gehen Sie raus!« sagte er. Der Mann nickte und verschwand auf dem Flur.
    »Nun?« Viktor sah den Dicken an, er spürte, wie er allmählich die Geduld verlor.
    »Sie haben mir…«, begann der Dicke. »Sie haben mir Arbeit versprochen… das ist meine erste Aufgabe…«
    »Was für
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