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Philosophische Anthropologie

Philosophische Anthropologie

Titel: Philosophische Anthropologie
Autoren: Gerald Hartung
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für Platon aber die potenzielle Überlegenheit des Menschen. Was den Menschen in scheinbare Nähe zum Tier rückt, ist das schlichte Faktum, dass er von seinen Fähigkeiten allerdings nur selten Gebrauch macht. Platons Trick zeigt sich in der Einführung einer dualistischen Konzeption, die den Menschen in dieser Spannung zwischen seiner physischen Gestalt und seiner ideellen Form begreift. Der Möglichkeit nach ist der Mensch mehr, als er in den Grenzen seiner [17] wirklichen Gestalt und Lebenspraxis zum Ausdruck bringt. Dementsprechend geht es Platon auch gar nicht darum, den Mensch-Tier-Vergleich festzuschreiben. Vielmehr dient er als Negativfolie, um die Gottähnlichkeit des Menschen herauszustreichen. Er ist seinem Wesen nach »kein Spross der Erde, sondern des Himmels« (Platon, Timaios, 90a).
    Eine Konsequenz der platonischen Konzeption ist es, dass der Mensch bei allen Fragen nach dem Maß der Dinge oder nach dem Vergleich mit anderem auf sich selbst zurückgeworfen wird. Der Sokrates, wie Platon ihn in seinen Schriften darstellt, versinnbildlicht diesen Weg der Selbsterkenntnis, der den Menschen zu sich selbst führt. »Ich bin eben lernbegierig, und Felsen und Bäume wollen mich nichts lehren, wohl aber die Menschen in der Stadt.« (Platon, Phaidros, 230c–d) Hier vollzieht sich eine erste anthropologische Wende innerhalb der abendländischen Kulturgeschichte. Sokrates wendet sich dem »Menschen in der Stadt« zu und betrachtet dessen kulturelle Leistungen. Dieser Mensch erkennt sich nicht in seiner Natur und auch nicht im Horizont einer natürlichen Lebensordnung; er erkennt sich nur, insofern er seiner Rolle als Sinnstifter gerecht wird. Was gut, schön, gerecht und wahr ist, diese Fragen kann er nur sich selbst beantworten. Die Antworten, die ihn als Menschen betreffen, findet er allein unter seinesgleichen in der Polis.
    Die Bestimmung des Menschen nach Maßgabe der politischen Ordnung hat allerdings auch eine Kehrseite. Denn sie setzt die Grenzen der Gleichheit, wenn diese nicht naturgegeben sind, an den Grenzen der jeweiligen Polis fest. So ist es eine Eigenart frühkultureller Selbstdeutung und gleichsam bis in die Moderne eine archaische Erbschaft dieser Kulturstufe, dass Menschsein als abhängig von der Zugehörigkeit zu einer Ordnung der Herrschaft, der Sprache, der Sitte und des Volkes erscheint. Jenseits dieser Grenzen dominiert die Geringschätzung des Anderen, Nichtzugehörigen, Fremden. Bei Homer (um 700 v. Chr.) zum Beispiel gilt der Fremde als Barbar. Erst die Sophisten behaupten die grundlegende [18] Gleichheit aller Menschen und Demokrit (460 – 371 v. Chr.) spricht diese neue Geisteshaltung prägnant aus: »Mensch ist, was allen bekannt ist.« (Demokrit, Frag. 165) Damit ist aber, wie der Blick in die platonischen Dialoge zeigt, keine Lösung indiziert, sondern nur der Widerspruch zwischen einer allgemeinen Vorstellung des Menschseins und einer bestimmten Wirklichkeit des Menschen als Teil einer politischen und sittlichen Ordnung in aller Deutlichkeit hervorgetreten.
    Platon sucht deshalb nach einer allgemeinen Idee des Menschen. Die platonische Anthropologie weist als ihren Kern die Ideenlehre aus und kennzeichnet den Menschen in seiner Allgemeinheit als dasjenige Wesen, das über die Begrenzung der phänomenalen Welt hinausfragt nach den ihr zugrunde liegenden Ideen. (Platon, Politikos, 262aff.) Hier liegt nach Platons Auffassung die Gemeinsamkeit des Menschseins. Aber diese Identität prägt sich im Leben in einer Dualität von Idee und Phänomen und in Bezug auf den Menschen von Körper und Seele, vom Menschsein der Wirklichkeit und der Möglichkeit nach aus. Platon gibt für diese Spannung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit des Menschseins keine prinzipielle Lösung, aber er bietet in Gestalt der idealen politischen Ordnung ein Modell zu ihrer Hegung an. Die
Politeia
weist jedem Menschen gemäß seinen Befähigungen einen Platz in der sozialen und sittlichen Ordnung zu. Das Maß des Menschseins liegt bei Platon in einer künstlichen, von Menschen geschaffenen Ordnung.
    Demgegenüber entwickelt die aristotelische Anthropologie ein einheitliches Bild vom Menschen, das durch seine natürliche Verfasstheit verbürgt wird. Aristoteles (384–322 v. Chr.) geht von der natürlichen Gegebenheit menschlicher Selbsterfahrung aus, in der sich die Einheit von Seele und Körper artikuliert. Der Mensch ist sich selbst nicht problematisch. In der Wahrnehmung und im Tätigsein erfährt er
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