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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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folgt daraus, dass Stalin das kleinere ist.«
    »Die Sache ist komplizierter, als Sie es aussehen lassen …«
    »Das kleinere von zwei Übeln ist immer noch ein Übel.«
    »Sie verdrehen das, was ich sagen wollte …«
    Sonja ließ nicht locker. »Sie sagen, Stalins Verrat am Kommunismus habe eben diesen Kommunismus nicht entwertet?«
    »Niemand hat etwas davon gesagt, dass Stalin den Kommunismus
verraten
habe«, erklärte Dietrich erregt. »Es gibt einen Unterschied zwischen
verzerren
und
verraten.
Das Verzerren hat mit einer taktischen Kursänderung zu tun. Es geht darum, die Weichen richtig zu stellen. Unser Vorgehen an der Wirklichkeit auszurichten, damit das strategische Ziel, die Diktatur das Proletariats, erreicht werden kann.«
    Sergius stimmte ihm zu. »Das sind Lenins zwei Schritte vor und einer zurück.«
    Der Professor legte Sonja die Hand auf den Rücken. »Stalin
ist
der Kommunismus, mein Kind. Sei sicher, welchen Pfad auch immer er einschlägt, es ist der rechte Pfad.«
    »Mit oder ohne Stalin ist die Weltrevolution unvermeidlich«, sagte ich. »Allerdings können wir hier in der Latschkagasse 9, Wohnung 7, ewig darüber diskutieren, das wird den Prozess nicht beschleunigen. Ich würde vorschlagen, wir lassen den theoretischen Teil unseres Treffens hinter uns und wenden uns den eher praktischen Fragen zu. Wer ist dafür?«
    Alle Mitglieder des Bereichskomitees, bis auf Sonja, hoben die Hand. Als sie sah, dass sie überstimmt war, warf sie Dietrich einen finsteren Blick zu, der daraufhin ihre Hand nahm und sie für sie hob. Die anderen lachten.
    Dietrich brachte die Frage der Bewaffnung der Arbeitermilizen auf, die sich mit den Dollfuß-Milizen nächtliche Scharmützel lieferten. Eine wichtige auf einem Donau-Frachtschiff versteckte Waffenlieferung war Anfang der Woche in einem der Außenbezirke Wiens von der Polizei entdeckt und beschlagnahmt worden. Die Geschichte hatte die Titelseiten der regierungstreuen Zeitungen gefüllt. Einer der Delegierten der Miliz wies darauf hin, dass uns die dringend benötigten Mittel fehlten, um Waffen aus dem Ausland zu beschaffen. Die Bereichskomitees waren aufgefordert, von den lokalen Händlern, die bis dahin um freiwillige Spenden gebeten worden waren, Steuern zu verlangen. Wir debattierten eine ganze Weile darüber, ohne zu einem Schluss zu kommen. Die Glocke der Kirche am Ende der Straße schlug zur vollen Stunde, und alle zählten die Schläge im Kopf mit. »Zwölf«, verkündete Dietrich. Er streckte sich und rieb Sonjas Nacken. »Zwölf«, wiederholte sie und legte die Hand auf seinen Schenkel.
    Und plötzlich konnte ich mir vorstellen, worüber die beiden sich im Bett unterhielten.
     
    »Lass uns die Revolution vorantreiben.«
    »Ah.« Ich sehe Kim vor mir, wie er sich räuspert, was er immer tat, wenn er nicht so recht wusste, was er sagen sollte. »Ja. Lass sie uns vorantreiben.«
    Und das taten wir: Wir schmuggelten sieben Simonows und vier Mauser, zerlegt in ihre Einzelteile und unten in einem Müllwagen versteckt, zum Schutzbund (die Miliz der österreichischen Sozialdemokraten) in den Karl-Marx-Hof, einen festungsähnlichen Wohnblock. Einundzwanzig deutsche Bergmann-Pistolen und ein Dutzend sowjetische halb automatische Tula-Tokarews schafften wir in einem Kinderwagen in ein im Kohlenkeller einer Spielzeugfabrik eingerichtetes provisorisches Arsenal, dazu Munition für all diese Waffen, jeweils vier, fünf Patronen in meinem Büstenhalter versteckt. Wir lieferten Schießpulver in kleinen Kornblumen-Papiertüten in eine geheime Munitionswerkstatt, die im obersten Stockwerk eines Gebäudes eingerichtet worden war, und schmuggelten Rucksäcke voller Flugblätter, versteckt unter Hartmanns hygienischen Feuchttüchern, an den Kontrollpunkten vorbei. Kim wurde noch eine Spur röter als der jugendliche Faschistenmilizionär, der mit einem der Tücher wedelnd seinen Kameraden zurief: »Seht nur, was ich gefunden habe!« In Kartons, die der Aufschrift nach Babynahrung enthielten, schafften wir medizinische Gerätschaften in eine provisorische Ambulanz, die in einem der riesigen Arbeiterwohnblöcke eingerichtet worden war.
    In den ersten Tagen war Kim geradezu überwältigt von alldem, was er da erlebte, den ängstlichen Gesichtern der Frauen und Männer, die unsere Waffen auspackten, den Vorbereitungen auf den Kampf in eigens dafür hergerichteten Fabriken und den Versammlungen, die sich in überfüllten, stickigen Kellern bis in die frühen Morgenstunden
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