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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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können, als es ernst zu nehmen.«
    »So wie ich mich kenne, werde
ich
das nicht.« Ich bedauerte meine Worte, kaum dass ich sie ausgesprochen hatte. Was, glaube ich, erklärt, warum ich schnell noch hinzufügte: »Aber wer weiß, ob ich für dich nicht eine Ausnahme mache?«
     
    Als Kind nahm ich an, dass es im Leben jedes Menschen jemanden gab, der auf ihn aufpasste. In meinem Fall war das mein Großvater mütterlicherseits, Israël Kohlmann. Ich kann nicht mehr sagen, wie viele herrliche Sommer ich auf seinem Landsitz in Kerkaszentmiklós verbracht habe, einem ungarischen Dorf, von dem aus man zur kroatischen Grenze wandern konnte. Großvater war der einzige jüdische Landbesitzer in der Gegend, aber wenn damals Antisemitismus in der ungarischen Luft lag, war ich zu jung und zu sorglos, um ihn zu spüren. Denke ich an jene Sommer zurück, erinnere ich mich an das Seilspringen auf der langen pappelgesäumten Schotterstraße, die zu Großvaters herrschaftlichem Haus führte. Ich erinnere mich, wie sich Familie und Dienerschaft tagelang im Keller versteckten, als die Roten, und später die Weißen, während der schrecklichen Jahre nach der bolschewistischen Revolution plündernd über Land zogen. Ich erinnere mich, wie ich mit meinen Cousins in der Kerka geschwommen bin, dem Fluss, dem das Dorf seinen Namen verdankte. Das war, bevor mir Brüste wuchsen. Ich war splitternackt und genauso fasziniert von den Genitalien der Jungen, wie diese davon, dass zwischen meinen Beinen nichts Bemerkenswertes zu entdecken war. Mein Aufseher, also mein Großvater, muss von dem Nacktbaden erfahren haben, denn eines Tages fand ich bei meiner Rückkehr auf meinem Bett einen Badeanzug vor, den ich fortan trug, wenn ich mit den Jungen schwimmen ging.
    Zumindest manchmal.
    Nachdem ich von einem Aufseher großgezogen worden war, fand ich es völlig normal, nach meiner Rekrutierung durch die Moskauer Zentrale einen Führungsoffizier zu haben, dem ich Rede und Antwort stehen musste. Der erste nannte sich Dmitri. Er hatte die Theorie, dass man weibliche Agenten am besten im Bett Bericht erstatteten ließ, und so flüsterte ich ihm ins Ohr, was ich zu sagen hatte, während er mich liebte und das Grammofon lauten Jazz spielte, für den Fall, dass Mikrofone im Raum versteckt waren. Ich berichtete ihm, wen ich mit wem hatte sprechen sehen, beschrieb ihm die Stimmung unter den Arbeitern, fasste zusammen, was bei den Versammlungen des Bereichskomitees herausgekommen war, und schlug Genossen vor, die prosowjetisch genug zu sein schienen, um von der Zentrale als Agenten angeworben zu werden. Eines Tages dann, als ich zu unserem zweiwöchentlichen Berichtstreffen kam, musste ich feststellen, dass Dmitri so plötzlich nach Moskau beordert worden war, dass er sogar seine geliebte Plattensammlung mit amerikanischem Jazz hatte zurücklassen müssen. Das erschien mir merkwürdig, aber ich zählte erst zwei und zwei zusammen, als ich später von den Säuberungen in den Rängen des NKWD las.
    Dmitri wurde durch einen übergewichtigen Mann in seinen Fünfzigern ersetzt, der sich seine verbliebenen Haarsträhnen quer über den hässlichen Schädel klebte und mir sagte, ich solle ihn Boris nennen. Er trug ein Monokel vor seinem guten Auge, das andere war bei General Frunses Eroberung der später nach ihm benannten Stadt einer Granate zum Opfer gefallen und durch ein Glasauge ersetzt worden. Einen Daumen unter die Hosenträger geklemmt, paffte Boris seine Zigarre und wedelte von Zeit zu Zeit mit der Hand eine Art Bullauge in den Rauch, durch das er meinen Körper studieren konnte. Ich schlug in kurzen Abständen meine Beine übereinander, mal zur einen, mal zur anderen Seite, und dachte, dass ein paar kurze Blicke auf meine Schenkel das Mindeste wären, was ich für einen Helden der Roten Armee tun konnte. Am Ende verlor er jedoch das Interesse, das Bullauge schloss sich, und er nahm meinen Bericht durch den Rauch entgegen.
    Zwei Wochen, bevor der Engländer in Wien auftauchte, war auch Boris plötzlich zurück nach Moskau beordert worden und so hastig abgereist, dass er Frau und Sohn zurückließ, die sich prompt nach Italien absetzten und von denen man nie wieder etwas hörte.
    Mein dritter Führungsoffizier erwartete mich in einer sicheren Wohnung am Judenplatz, im Herzen von Wiens erstem Judengetto, am Ende einer Gasse nördlich vom Schulhof. Zu meiner Überraschung handelte es sich um eine Frau, was meine Vermutung bestärkte, dass Frauen in den
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