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Phantom

Phantom

Titel: Phantom
Autoren: Patricia Cornwell
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und heute habe ich gehört, daß sogar weit weg in Kalifornien einige Zartbesaitete in den Hungerstreik getreten sind.«
    Ich schaute über den Parkplatz zur Main Street hinüber. Ein Wagen fuhr mit hoher Geschwindigkeit vorbei. Die Reifen zischten über den nassen Asphalt. Unter den Straßenlaternen trieben verschwommene Lichtinseln im Dunst.
    »Wenn Sie mich fragen«, fuhr der Officer fort, »ich würde wegen Waddell nicht mal auf meine Kaffeepause verzichten.«
    Er legte schützend die Hand um die Flamme seines Feuerzeugs und zündete sich eine Zigarette an. »Nicht nach dem, was er mit dieser Naismith angestellt hat. Ich habe sie oft im Fernsehen gesehen. Mir persönlich sind ja weiße Frauen lieber, aber sie war eine echte Augenweide.«
    Ich hatte vor zwei Monaten das Rauchen aufgegeben, und es machte mich immer noch kribbelig, wenn jemand in meiner Gegenwart rauchte.
    »Mann – das muß jetzt fast zehn Jahre her sein«, redete er weiter. »War das ein Wirbel damals! Es war einer der schlimmsten Fälle, die wir hier je hatten. Sie sah aus, als hätte ein Grizzli sie in die Mangel genommen…«
    »Ich geh’ rein«, unterbrach ich seinen Redefluß. »Lassen Sie es mich wissen, wenn sie kommen!«
    »Klar, Ma’am. Ich werde über Funk benachrichtigt, wenn sie losfahren, und dann sage ich Ihnen gleich Bescheid.« Er verzog sich wieder in seinen Wagen.
    Neonröhren beleuchteten die kahlen, weißen Wände des Leichenschauhauses. Der Geruch von Frischluftspray hing in der Luft. Ich ging an dem kleinen Büro vorbei, wo die Beerdigungsinstitute die eingelieferten Leichen registrierten, am Röntgenraum und den massiven Stahltüren, hinter denen der große Kühlraum lag. Der Autopsieraum war hell erleuchtet, die Stahltische glänzten in dem harten Licht. Susan schärfte gerade ein langes Messer, und Fielding etikettierte Röhrchen für Blutproben. Beide sahen so müde und lustlos aus, wie ich mich fühlte.
    »Ben sitzt oben in der Bibliothek vor dem Fernseher«, sagte Fielding zu mir. »Er gibt Laut, wenn sich was tut.«
    »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Kerl Aids hatte?« fragte Susan, als sei Waddell schon tot.
    »Ich weiß es nicht. Wir werden zwei Paar Handschuhe übereinander ziehen und die übliche Vorsicht walten lassen.«
    »Ich hoffe, sie sagen es uns, wenn er infiziert war«, insistierte Susan. »Man kann sich nie darauf verlassen, daß sie es tun – denen ist das egal, schließlich müssen sie ihn nicht obduzieren.«
    Susan war in letzter Zeit überängstlich. Sie fürchtete die Röntgenstrahlen und Chemikalien, die zu unserer täglichen Arbeit gehören, und alle möglichen Krankheiten. Ich hatte Verständnis dafür, denn sie war seit kurzem schwanger.
    Ich ging in den Umkleideraum und schlüpfte in einen grünen Chirurgenkittel, zog eine Plastikschürze an, stülpte Booties über meine Schuhe und nahm zwei Pakete Handschuhe aus dem Schrank. Dann inspizierte ich den Instrumentenwagen neben Tisch drei: Alles war mit Waddells Namen, dem heutigen Datum und der Autopsienummer versehen. Die gekennzeichneten Behältnisse würden in den Müll wandern, falls Gouverneur Norring das Todesurteil in letzter Minute noch aufheben sollte. Ronnie Waddell würde aus der Kartei des Leichenschauhauses gelöscht und seine Autopsienummer auf den Nächstkommenden übertragen werden.
    Um elf kam Ben Stevens herunter und schüttelte den Kopf. Gemeinsam fixierten wir die Uhr an der Wand. Niemand sprach. Die Minuten tickten dahin.
    Und dann ging plötzlich die Tür auf, und der Polizist, der mich auf dem Parkplatz begrüßt hatte, erschien mit einem Funkgerät in der Hand. »Um fünf nach elf wurde er für tot erklärt«, berichtete er. »Sie werden in einer Viertelstunde mit ihm hier sein.«
    Die Ambulanz gab ein Warnsignal, als sie rückwärts in den Hof fuhr. Die Hecktüren öffneten sich, und heraus sprangen so viele Gefängnisbeamte, daß man glauben konnte, sie hätten einen Tobsüchtigen in Schach halten müssen. Vier von ihnen zogen die Bahre heraus, auf der Ronnie Joe Waddells Leiche lag. Wir traten zur Seite. Im Flur setzten sie die Bahre zu Boden, ohne sich die Mühe zu machen, die Beine auszuklappen. Sie schoben sie wie einen Räderschlitten vor sich her. Das Tuch, in das der festgeschnallte Tote gewickelt war, hatte Blutflecken.
    »Nasenbluten«, sagte einer der Männer, noch ehe ich fragen konnte.
    Ich sah, daß seine Handschuhe blutig waren. »Sie hatten Nasenbluten?«
    »Nein. Waddell.«
    Ich war
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