Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pferdesommer mit Lara

Pferdesommer mit Lara

Titel: Pferdesommer mit Lara
Autoren: Ursula Isbel
Vom Netzwerk:
silbriger Mähne zwischen den Tannen auf. Dann sah ich den Oberkörper des Reiters. Es war der Junge aus Eulenbrook. Er hatte mich noch nicht bemerkt. Ich beobachtete, wie er das Pferd zügelte und aus dem Sattel glitt. Jetzt kam auch sein Hund angerast, mit fliegenden Schlappohren und hängender Zunge.
    Der Junge führte das Pferd über den schmalen Pfad zwischen den Schilfhalmen. Der Schimmel ging langsam ins seichte Wasser, senkte die Nase und trank. Ich sah mich nach meinem Fahrrad um, das an einem Baum lehnte. Wenn ich leise war, konnte ich vielleicht unbemerkt verschwinden.
    Eine Bewegung oder ein leises Knirschen meiner Sandalen auf den Steinen verriet mich. Plötzlich bellte Bonnie, der Labrador-Mischling. Das Pferd hob den Kopf. Wasser tropfte von seinen Lippen und Nüstern.
    Auch der Junge sah auf. Über die Schilfhalme hinweg trafen sich unsere Blicke.
    Trotzig dachte ich: Wieso soll ich eigentlich schon wieder abhauen? Ich habe das gleiche Recht wie er, hier zu sein! Der See gehört ihm nicht …
    Vielleicht erkannte er mich nicht sofort. Er wandte sich ab und redete leise mit dem Hund. Dann watete er durchs seichte Wasser zu seinem Pferd und streichelte ihm den Hals.
    Ich war schon beim Rad und wollte es zu einer Uferstelle auf der anderen Seite des Sees schieben, aber als ich die Hände auf die Lenkstange legte, hörte ich hinter mir ein Hecheln.
    Bonnie kam auf mich zugelaufen. Der Junge folgte ihr.
    Er war barfuß und trug ausgefranste Jeansshorts.
    »Warum läufst du vor mir weg?«, fragte er.
    Ich spürte, dass ich rot wurde. »Vielleicht möchte ich meine Ruhe haben.«
    Jetzt stand er vor mir. Bonnie beschnupperte mich und drückte die Stirn gegen meine Knie. Unwillkürlich ließ ich die Hand sinken und berührte ihre Ohren. Sie waren weich wie Samt. Im Hintergrund prustete das Pferd.
    »Ich will dich nicht stören, aber warte einen Augenblick. Ich hab etwas gefunden, einen Ohrring. Er hing in den Brombeerranken. Gehört er dir?«
    Ich starrte ihn an. Er hatte sandfarbene, fast weiße Augenbrauen und auf seinem Nasenrücken schälte sich die Haut. Auf seinem Kinn war eine winzige halbmondförmige Narbe. Seine gebräunten Arme waren mit silbrigem Flaum bedeckt.
    »Ja!«, sagte ich atemlos. »Das ist meiner! Was hast du mit ihm gemacht?«
    Eine Falte erschien zwischen seinen Brauen. »Ich hab ihn weder weggeworfen noch verkauft, auch wenn du mir das offenbar zutraust. Er liegt bei meinen Sachen im Wohnwagen. Du kannst ihn dir holen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Bonnie stupste meine Hand mit der Nase an, bis ich sie streichelte. »Warum nicht?«, fragte er. »Du warst doch sicher nicht zum ersten Mal in Eulenbrook.«
    Wenigstens sagte er nicht: auf unserem Grundstück. Das war ein Pluspunkt für ihn.
    »Ich möchte nicht.«
    »Aha. Soll ich dir den Ohrring bringen? Ich weiß allerdings nicht, wie du heißt und wo du wohnst.«
    Ich murmelte: »Das brauchst du nicht. Wir können uns treffen.«
    Kaum war es heraus, kamen mir schon Zweifel, ob er mich vielleicht falsch verstehen würde und dachte, ich wollte ihn anmachen. Doch er nickte und erwiderte nur: »Okay. Wann und wo?«
    Ich überlegte. »Morgen um diese Zeit an der gleichen Stelle?«
    »Gut. Ich hab den See erst gestern entdeckt. Bist du jeden Morgen hier?«
    »Nur ab und zu. Tagsüber ist es total voll.«
    »Das hab ich schon gemerkt. Schade. Es ist so ein schöner Platz.«
    Eine Weile standen wir da und sahen zu, wie das Pferd fast bis zum Bauch ins Wasser ging. Bonnie lief zum Ufer und platschte ebenfalls in den See. Sie zerrte eine Schlingpflanze hoch, schleuderte sie in die Luft, fing sie wieder auf und schüttelte sie wie einen toten Fisch.
    »Bonnie ist so glücklich hier«, sagte der Junge unerwartet. »Wir haben bis jetzt in einer Großstadt gelebt.«
    »Mit drei Pferden?«
    Er fragte nicht, woher ich wusste, dass sie drei Pferde hatten. »Sie waren in einem Reitstall untergestellt. Aber irgendwie haben sie mir immer leidgetan. Tiere gehören in die Natur.«
    »Wir Menschen auch«, erwiderte ich unwillkürlich.
    Er musterte mich flüchtig. »Ja, auch wenn viele das nicht mehr spüren.«
    Irgendwo im Schilf quakte eine Ente. Dann durchbrachen Stimmen und laute Musik die morgendliche Stille.
    »Ich hab meinen Schnorchel vergessen!«, schrie jemand. Und eine Frauenstimme übertönte das schmalzige Gedudel eines Kassettenrekorders: »Frankie, hast du den Picknickkorb mit den Spareribs dabei?«
    Der Junge und ich wechselten einen Blick. »Das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher