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Pferdesommer mit Lara

Pferdesommer mit Lara

Titel: Pferdesommer mit Lara
Autoren: Ursula Isbel
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immer: die Freitreppe aus Stein mit den beiden Säulen, die das dreieckige Vordach trugen, umgeben von Brombeersträuchern; die leeren Fensterhöhlen, das Rotkehlchen, das in einer Mauernische nistete, und das Wasserbecken zwischen Heckenrosen, Brennnesselfeldern und Farnkrautwedeln.
    Ein Entenpärchen hatte den alten Teich entdeckt und sich in den Frieden des verwunschenen Gartens zurückgezogen. Ja, alles wirkte verwunschen wie das Dornröschenschloss im Märchen, so als wären Haus und Garten in hundertjährigen Schlaf versunken.
    Rosenranken verhakten sich in meinem T-Shirt, und eine riesige Libelle düste mit zornigem Rascheln über mich hinweg, als ich mir meinen Weg durch das Gestrüpp bahnte. Die Brombeerzweige schlangen sich wie Fallstricke um meine Füße, Frösche quakten im Verborgenen. Irgendwo in den knorrigen Obstbäumen, die von Efeu und Geißblatt überwuchert waren, sangen Drosseln. Es roch nach fauligem Wasser und dem Vanillearoma des Geißblatts.
    Eulenbrook war unverändert. Das Haus strömte noch immer seinen eigenen, unverwechselbaren Geruch aus. »Gruftig«, hatte Ronja ihn genannt. Es war, als hätte es einen kalten, modrigen Atem. Überhaupt hatte Ronja immer behauptet, es wäre lebendig, weil der Geist der früheren Bewohner noch in den Mauern sei.
    Unter dem schwarzgrünen Nadeldach einer Eibe verborgen, stand der Gnom aus Sandstein auf einem Podest, das fratzenhafte Gesicht mit grauen Flechten überzogen, eine steinerne Mütze auf dem Kopf. Wie immer grinste er mich mit seinem verzerrten Lächeln an, doch etwas war anders als sonst: Der Zwerg trug ein Halstuch aus einem rot-weiß gestreiften Band unter dem Kinn verknotet.
    Ich blieb stehen und starrte ihn an, als wäre er plötzlich zum Leben erwacht. Mein Herz klopfte wild. Jäh beschlich mich das Gefühl, dass sich jemand im Dickicht versteckt hatte und mich beobachtete, jemand, der den Atem anhielt und auf der Lauer lag wie eine Katze, die heimlich einem Vogel nachstellt.
    Schon wollte ich losrennen, zurück zum Durchschlupf in der Mauer und hinaus auf die Straße. In diesem Augenblick hörte ich ein Geräusch.
    Es war das Brummen eines Motors. Ein Wagen fuhr aufs Haus zu. Unwillkürlich duckte ich mich, obwohl das Gebüsch so dicht und hoch war, dass mich von der Auffahrt her keiner sehen konnte.
    Die Reifen rollten fast lautlos über den Weg, der mit einer dicken Schicht von verrottetem Laub bedeckt war. Ab und zu knackte ein Zweig, und Blätter rauschten, wenn sie das Wagendach streiften. Der Motor schnurrte sacht. Es musste ein großer Wagen sein.
    Angespannt lauschte ich. Sie hielten vor dem Haus. Dann hörte ich Wagentüren klappen und einen Moment später gedämpfte Stimmen.
    Jetzt war mir klar, dass es stimmte. Ein endgültiges Gefühl sagte es mir. Eulenbrook gehörte nicht länger Ronja und mir, es gehörte Fremden, die sich hier breitmachen und alles zerstören würden.
    So wie sie dem Gnom ein Halstuch umgebunden hatten, würden sie den Teich wahrscheinlich bald in einen Swimmingpool verwandeln, aus dem Haus eine protzige Villa machen und die alten Bäume umsägen lassen. Das Stallgebäude würde zu einer Garage umgebaut werden und das Gittertor schwarzgolden gestrichen, abgeschlossen und mit einem Schild versehen, auf dem »Privat! Betreten verboten!« stand.
    Die Stimmen verstummten. Vermutlich waren die neuen Besitzer von Eulenbrook ins Haus gegangen. Ein günstiger Moment für mich, ungesehen zu verschwinden. Doch ich tat das Gegenteil: Verstohlen wie ein Dieb arbeitete ich mich zwischen den Sträuchern zum Haus vor, wobei ich mir Arme und Beine zerkratzte, mich an Brennnesseln brannte und mit meinen langen Haaren in allerlei dornigem Gestrüpp hängen blieb.
    Der Wagen, der vor der Freitreppe stand, war zwar groß, aber kein Luxusschlitten. Er musste schon ziemlich alt sein, hatte einen verbeulten Kotflügel und Roststellen an den Türen. Das beruhigte mich irgendwie, obwohl ich keine Ahnung hatte, wieso.
    Ein Flügel der Eingangstür unter den Säulen stand einen Spalt offen. Sie hatten also den Schlüssel. So lange ich denken konnte, war die große Tür versperrt gewesen. Wir waren immer durch eines der Fenster im Erdgeschoss eingestiegen, hinein in die Küche, in der es noch einen altmodischen Herd mit einem langen Ofenrohr und einen Boden aus gemusterten, schief getretenen Kacheln gab.
    Ich hasste sie dafür, dass sie den Schlüssel besaßen. Die früheren Besitzer von Eulenbrook waren tot, und ich hatte geglaubt,
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