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Pferdesommer mit Lara

Pferdesommer mit Lara

Titel: Pferdesommer mit Lara
Autoren: Ursula Isbel
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Ohr.
    »Du trägst die Ohrringe!«, sagte er leise. »Schön. Sie passen zu dir.«
    Besser als zu Ronja, dachte ich unwillkürlich. Eigentlich hatten die Hängeohrringe mit den kleinen Opalen einst Ronja gehört. Sie hatte sie mir geschenkt, weil sie fand, dass sie mir besser standen als ihr. Die Ohrringe hatten ihre eigene Geschichte. Vielleicht waren sie sogar der Grund dafür, dass ich heute hier neben Arne stand, der Ursprung unserer Freundschaft - denn ich hatte einen von beiden in Eulenbrooks Garten verloren, und Arne hatte ihn gefunden. Das war am Anfang dieses Sommers gewesen.
    Jemand hatte eine neue Kassette mit Walzermusik eingelegt. Flüchtig dachte ich, wie gut diese Musik hierher passte, in dieses alte, versponnene Gemäuer, das plötzlich in neuem Glanz erstrahlte.
    »Ich würde gern mit dir tanzen«, sagte Arne. »Draußen vor dem Haus. Das hab ich mir schon oft vorgestellt, dass wir hier im Garten miteinander tanzen.«
    Ein seltsames Gefühl, wie ein süßer Schauer, durchfuhr mich wie ein kleiner Blitz. Einen Moment lang erwiderte ich seinen Blick, ehe ich wieder aus dem Fenster sah und murmelte: »Ich kann keinen Walzer.«
    »Ich auch nicht. Versuchen wir’s trotzdem?« Ich nickte. Gleichzeitig, wie auf ein geheimes Zeichen, nahmen wir uns an der Hand und gingen auf die Tür zu. Lily musste uns beobachtet haben, denn sie vertrat uns den Weg und sagte: »Ihr wollt euch doch nicht klammheimlich verdrücken? Kommt und probiert den Hummer, er schmeckt echt köstlich.«
    »Ich esse keinen Hummer«, erwiderte Arne. »Weißt du eigentlich, wie sie sterben? Sie werden bei lebendigem Leib in siedendes Wasser geworfen. Es dauert ziemlich lange, bis die Quälerei vorbei ist und sie tot sind.«
    Lily schnitt eine leichte Grimasse. »Okay, dann nimm dir was von den Früchten. Oder tun dir die auch leid?« Ihr Blick glitt von Arnes Gesicht zu unseren ineinander verschränkten Fingern, und ihre Augen verengten sich zu einem Spalt.
    »Später«, sagte Arne. »Jetzt wollen wir tanzen.«
    »Na, dann viel Spaß!« Unvermittelt wandte sie sich ab, und ich dachte, dass Menschen wie sie bestimmt schlechter mit Frust umgehen konnten als andere, die nicht daran gewöhnt waren, immer all ihre Wünsche erfüllt zu bekommen. Ihr Bruder Erik rief etwas Unverständliches. Er stand neben Elisa und winkte mit einer Hähnchenkeule.
    Draußen ging ein leichter, warmer Wind, der in den Bäumen raunte und die Glühlämpchen zum Schaukeln brachte, sodass blaue, grüne und goldene Lichtpunkte über die Treppenstufen und den Kies sprühten. Die Klänge des Kaiserwalzers drangen durch die offene Tür und die Fenster ins Freie und erfüllten den Garten. In aller Beschwingtheit hatten sie auch etwas Wehmütiges, wie ein Hauch aus längst vergangenen Tagen.
    Arne legte einen Arm um meinen Rücken, und wir machten die ersten ungeschickten Schritte, lachend und ein bisschen verlegen. Der Kies knirschte unter unseren Sohlen, bis wir die Schuhe abstreiften und im Gras weitertanzten.
    Mit einem Mal war es leicht, die richtigen Bewegungen zu finden. Wie ein Funke sprang die Melodie auf uns über und lenkte auf geheimnisvolle Weise unsere Schritte. Eine Art Zauber ging von ihr aus, der uns erfasste und uns trug.
    Wir drehten uns und hielten uns gegenseitig fest, und ich spürte Arnes Gesicht an dem meinen, seine Wärme und seinen Atem, der über meine Wange strich. Der Wind roch nach Blüten und Pferden und dem Wasser des alten Teiches und das Gras unter unseren Füßen war weich und kühl.
    Ich hörte Arne leise lachen, als Bonnie aus dem Haus kam und übermütig um uns herumsprang, als wollte sie mit uns tanzen. Am liebsten hätte ich diese Minuten festgehalten und mich ewig weiter so gedreht, doch die Musik endete viel zu früh, und wir tanzten noch eine Weile langsam weiter, als hätte die Melodie ein Echo in unseren Köpfen hinterlassen.
    Später erinnerte ich mich noch oft daran, dass ein Käuzchen in der Tiefe des alten Gartens schrie, als wir uns zum ersten Mal küssten.

OMNIBUS ist der Taschenbuchverlag für Kinder in der Verlagsgruppe Random House

    Verlagsgruppe Random House

    1. Auflage
    Erstmals als OMNIBUS Taschenbuch Mai 2008
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
Dieser Band enthält die Einzeltitel
»Eulenbrooks Pferde. Das Schattenpferd«,
erstmals erschienen 2002 in der
Egmont Franz Schneider Verlag GmbH, München
»Eulenbrooks Pferde. Schicksalsgefährten«,
erstmals erschienen 2003 in der
Egmont Franz Schneider
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