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Pferdesommer mit Lara

Pferdesommer mit Lara

Titel: Pferdesommer mit Lara
Autoren: Ursula Isbel
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mich her war es stockdunkel und stickig wie in einer Gruft. Meine Knie schmerzten. Eine Weile lag ich wie betäubt da und wartete, bis sich das Hämmern meines Herzens beruhigte.
    Im Traum hatte ich Ronja so deutlich gesehen, dass mich jetzt die Sehnsucht nach ihr mit der gleichen Stärke überfiel wie in den ersten Wochen und Monaten nach ihrem Tod. Zugleich spürte ich wieder diese verzweifelte Ungläubigkeit und wilde Auflehnung, dass es nicht sein konnte - nicht gerade Ronja, die so voller Lebenslust gewesen war, viel lebendiger, übermütiger und fantasievoller als ich und alle anderen Menschen, die ich kannte.
    Schließlich stand ich auf und öffnete das Fenster, das der Wind zugedrückt hatte. Die Nacht war samtschwarz, ich sah weder Mond noch Sterne. In der Ferne rief eine Eule, vielleicht im Garten von Eulenbrook. Jahre hindurch hatte ein Eulenpaar zwischen den Dachbalken des alten Gutshauses genistet; sie waren durch eines der zerbrochenen Dachfenster aus und ein geflogen. Einmal, im Spätfrühling, hatten wir ihre Jungen gesehen, drei putzige, rührende Gestalten mit uralten Gesichtern, die auf der Dachrinne aufgereiht saßen und ihre Köpfe fast um hundertachtzig Grad drehen konnten.
    Ronja hatte sie »die drei Gummihälse« genannt und eine Zeichnung von ihnen gemacht. Wenige Wochen später fanden wir ein Eulenjunges tot hinter dem Schuppen und begruben es im Garten unter einem Rosenbusch.
    Ich kroch ins Bett zurück. Die Leuchtziffern der Uhr zeigten auf drei. Natürlich konnte ich nicht mehr einschlafen.
    Als der Morgen endlich dämmerte, fasste ich den Entschluss, noch einmal - ein letztes Mal - nach Eulenbrook zu gehen und den Ohrring mit dem Opal zu suchen.

4
    Eulenbrook lag außerhalb unseres Städtchens. Von der Landstraße aus konnte man es nicht sehen, denn ein Erlengehölz verdeckte den Blick auf die Gartenmauern und das graue Dach mit den drei Kaminen.
    Während des Zweiten Weltkriegs, hatte mein Großvater erzählt, waren plündernde Soldaten daran vorbeigezogen und hatten den Gutshof einfach übersehen, obwohl sie sonst jedes Haus nach Nahrungsmitteln und Wertgegenständen durchsucht hatten.
    Ich überquerte den Bach auf der kleinen Brücke und radelte durch das Wäldchen, in dem Wildtauben gurrten. Was sollte ich machen, wenn sie wieder da waren? Um festzustellen, ob ihr Wagen in der Auffahrt stand, musste ich bis fast zum Haus gehen. Doch wenn Bonnie, der Hund, mich hörte oder witterte, konnte es passieren, dass alles so ähnlich ablief wie gestern. Ich wollte dem Jungen auf keinen Fall ein zweites Mal begegnen.
    Während ich durch das Loch in der Gartenmauer schlüpfte, lauschte ich angestrengt, bereit, beim geringsten ungewohnten Geräusch umzukehren und mich aufs Fahrrad zu schwingen.
    In einem Punkt war ich ihnen jedenfalls überlegen: Ich kannte mich hier aus, kannte jedes Versteck, jeden Pfad im Wäldchen und in Eulenbrooks Garten. In Wahrheit waren sie die Eindringlinge und ich gehörte hierher. So sah ich es damals.
    Auch hier gurrten Wildtauben. Ein Frosch quakte eindringlich, Grillen zirpten. In den Blättern raschelte sacht der Wind. Sonst war es wie immer still.
    Ich fühlte mich plötzlich wieder sicher, während ich mir einen Weg durchs Gebüsch bahnte und über zertretenes Gras und geknickte Efeuranken meinen Spuren vom vergangenen Tag folgte.
    Ich hoffte auf die hohle Weide. Vielleicht hatte ich Ronjas Ohrring dort verloren. Ein seltsamer Geruch hing in der Luft, der neu war und den ich noch nicht einordnen konnte.
    Noch ehe ich die Weide erreichte, hörte ich das Gewieher.
    Sie waren wieder da und sie hatten Pferde mitgebracht. Das wusste ich, noch ehe ich durch die Zweige der Buchsbaumhecke spähte und sie vor dem Haus stehen sah. Vor Neugier und Überraschung vergaß ich, dass ich eigentlich weglaufen wollte.
    Sie waren zu dritt: der blonde Junge, ein großer, ziemlich dünner Mann und eine Frau, die Shorts trug und lange braune Beine hatte. Hinter dem schwarzen Auto parkte ein Lastwagen mit heruntergelassener Laderampe, über die der Mann gerade ein Pferd führte.
    Ein zweites Pferd, ein Apfelschimmel, stand im hohen Gras am Rand der Auffahrt. Der Junge hielt es am Zügel. Neben ihm lag die Hündin, die Bonnie hieß, und nagte an einem Stück Holz oder einem Knochen.
    Eine warnende Stimme in meinem Innern riet mir zu verschwinden, solange sie mich noch nicht entdeckt hatten. Trotzdem blieb ich und beobachtete, wie der Junge den Apfelschimmel streichelte, der heftig
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