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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Autoren: Amei Müller
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Geschöpf, in dessen stille Nähe ich mich gerne zurückzog.
    Nach der Flucht gab es keine Köchin mehr und keine Näherin. Mutti klapperte mit den Kochtöpfen und hantierte mit dem Stickrahmen. Sie tat mit Eifer und Unkenntnis, was sie für nötig hielt. Nun hatte sie als junges Mädchen niemals einen Strumpf zum Stopfen, ein Wäschestück zum Flicken in die Hände bekommen. Ein Stickrahmen war ihr in die Finger gedrückt worden, eine Nadel und feine Garne. In der Kunst des Stickens war sie zu höchster Vollkommenheit gediehen. Sie bestickte Sofakissen, Kaffeedecken und Blusen, sie machte mit Hilfe ihrer bunten Garne den garstigsten Stoffrest zu einem kleinen Wunderwerk. Also wandte sie diese Kunst nun bei der zerrissenen Wäsche der Familie an. Löcher verwandelten sich in farbenprächtige Blüten, aufgeplatzte Nähte stickte sie mit kunstvollem Kreuzstich zusammen.
    »Aber Mutti, den kann ich doch nicht anziehen! Alle lachen mich aus, wenn ich mich fürs Turnen umziehe!«
    Ich hielt einen weißen Schlüpfer in der Hand, er war mit roten und gelben Blumen bestickt.
    »Ist er nicht entzückend? Hättest du lieber Kornblumen draufgehabt? Ich fand das Rot so strahlend.«
    »Ja, wirklich Mutti. Es strahlt fürchterlich. Wenn du es mit weißem Faden bestickt hättest, dann würde es nicht so auffallen.«
    »Aber Kind, warum soll es nicht auffallen? Es ist absolut einwandfrei gestickt. Ich hatte solche Freude daran. Aber, wenn du willst, dann sticke ich es dir mit weißem Garn, aber...«
    »Nein, nein, es ist wirklich hübsch. Jetzt gefällt es mir schon richtig gut. Du brauchst es nicht aufzutrennen. Vielen Dank!«
    Auch meine Brüder murrten zuerst. Ihnen stickte sie Schmetterlinge und Marienkäfer auf die Unterwäsche. Wenn wir sie aber am Nähtisch sitzen sahen, den Stickrahmen in der Hand, die Zungenspitze zwischen den Lippen, wenn sie das Kunstwerk hochhielt und fragte: »Ist es nicht schön geworden? Gefällt es Euch?«, dann stieg eine Welle der Zärtlichkeit in uns hoch.
    »Wunderschön, Mutti, herrlich!«
    Wir gewöhnten uns, buntbestickte Unterwäsche zu tragen.
    »Wo ist meine Schmetterlingshose?« brummte Michael, »ist sie noch immer nicht gewaschen?«
    Else bekam einen Wutanfall. »Ne, und die Hose mit die Käfers och nicht! Menschenskind, ich hab och bloß zwei Hände!«
    »Verflixt, da muß ich wieder die Rosen anziehen, und das Ding ist mir doch zu eng!«
    Wenn sich in der Schule die Mädchen über meine Wäsche mokierten, streckte ich ihnen die Zunge heraus.
    »Ihr seid ja bloß neidisch, weil ihr so was nicht habt!«
    Manfred fand meine Unterwäsche bemerkenswert. »Paß auf, das wird noch mal Mode!« sagte er, und damit behielt er recht.
    Ich lernte das Stopfen. Nachdem ich unendlich viele Mengen Stroh verarbeitet hatte, und die Frau Dekan nun auch nicht mehr wußte, wohin mit all den Sternen, wurde mir im Pfarrkranz ein zerrissener Strumpf samt Stopfei in die Hand gedrückt.
    »Schauen Sie her, meine Liebe«, sagte Schwester Schmeider, »das ist kein Hexenwerk. Wir zeigen es Ihnen!« Während der Redner über seine Erfahrungen in der Diaspora sprach, schwitzte ich über Manfreds Socken, zog die Wolle geduldig hin und her und war unendlich stolz, als sich statt des Lochs eine schön gestopfte Ferse über dem Stopfei spannte.
    Beim Neujahrspfarrkranz wollte ich Manfreds Pullover vorführen.
    »Du Manfred, zieh doch den Pullover an, den ich dir gestrickt habe. Was meinst du, wie die Damen staunen!«
    »Ja, das ist eine gute Idee«, sagte er und rang nach Worten, »aber die Sache hat einen Haken. Der Pfarrkranz ist eine festliche Angelegenheit. Ich muß im Anzug erscheinen, so leid mir’s tut. Aber nimm ihn doch mit. Er wirkt auch unangezogen sehr dekorativ.«
    Also brachte ich den Pullover über dem Arm daher und legte ihn auf die festliche Kaffeetafel. Manfred verzog sich eilig an den Herrentisch, aber die Pfarrfrauen standen in sprachloser Bewunderung. Schließlich räusperte sich die Frau Dekan.
    »Ein schönes Stück!« sagte sie, »ein Kunstwerk besonderer Art! Trägt er es auch fleißig?«
    »Beim Autowaschen.«
    Betretenes Schweigen. Dann ließ sich Schwester Kellermann vernehmen. »Ich sage immer zu meinem Julius: Julius, sage ich, ein Pfarrer muß sich auch für niedere Dienste adrett kleiden!«
    Ich ging gern zum Pfarrkranz. Die meisten Pfarrfrauen hatten die gleichen Sorgen wie ich und wohnten in ähnlichen alten Häusern, »Ladykillern«, wie Christoph sie nannte. Sie hatten wie ich
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