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Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers

Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers

Titel: Peter Neururer - Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers
Autoren: Thomas Lötz , Peter Neururer
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Schläuche an seinen Armen schließen. Als er in die Gesichter um ihn herum blickt, erschrickt der Trainer. Irgendetwas Schreckliches muss wohl mit ihm geschehen sein, was, weiß er nicht. Seine Familie berichtet ihm, wie er auf diese Intensivstation gekommen ist und was für ein ungeheuerliches Glück er gehabt hat. Neururer ist sehr geschwächt, er hat in den Stunden nach seinem Infarkt sechs Kilo Körpergewicht verloren, an Aufstehen, geschweige denn Gehen ist in den ersten Tagen nicht zu denken. Neururer wird ab jetzt täglich sieben Tabletten schlucken müssen.
    Der Infarkt hat Neururer ohne Vorwarnung getroffen. Bei seinen regelmäßigen von »Doc« Bauer durchgeführten Check-ups in den vergangenen Jahren ist nichts Auffalliges zu beobachten gewesen. Eine erbliche Vorbelastung - auch sie häufig Ursache für Infarkte - ist nicht bekannt. Neururers allgemeiner Fitnesszustand ist seinem Alter gemäß überdurchschnittlich. In Köln hat er in der Woche vor seinem Kollaps sogar noch an einem Benefizspiel für den seit 2010 im Koma liegenden Heinz Flohe teilgenommen - keine Anzeichen von Problemen, Schwäche oder Ähnlichem. Neururer fühlt sich sauwohl. Er hat kein Übergewicht. Er ernährt sich ausgewogen. Klar ist, er raucht zu viel. Und es ist anzunehmen, dass die Freude am regelmäßigen Nikotinkonsum zur Verengung und schließlich zur Verstopfung seiner Herzgefäße geführt hat. »Er hat Glück im Unglück gehabt«, sagt »Doc« Bauer über seinen Freund, »entscheidend ist gewesen, dass er in den ersten Stunden nach dem Infarkt gut versorgt worden ist.«
    Seither trägt Peter Neururer eine Kette um seinen Hals, an der eine kleine Metallkapsel hängt. »SOS« ist darauf eingraviert, innen drin finden sich alle Informationen für einen Notfall: dass er zwei Stents in der Hinterwand seines Herzens eingesetzt bekommen hat, welche Medikamente er regelmäßig nimmt, wie man seine Angehörigen und Ärzte telefonisch erreichen kann.
    Der Weg zurück ins sozusagen normale Leben fallt dem ungeduldigen Charakter Neururer nicht leicht. Zwei Wochen nach dem fast tödlichen Zusammenbruch verlässt er das Krankenhaus in Gelsenkirchen und begibt sich zur Reha nach Bad Waldliesborn, nördlich von Lippstadt. Dort kümmert sich das Personal rühfend um einen sichtlich unsicheren Patienten. Bei jeder Bewegung horcht Neururer tief in sich hinein. Er kontrolliert zunächst jeden Schritt, immer in Sorge, plötzlich ein Alarmsignal wahrzunehmen. Es dauert, bis er annähernd wieder in der Lage ist, auch schnellere, komplexere Bewegungen zu koordinieren und die Angst zu verdrängen. Sein Gleichgewichtsgefühl ist ihm abhandengekommen.
    Neururer lernt Demut. Er war es gewohnt, seinen Körper zu instruieren. Jetzt diktiert sein Körper ihm, wo es eben nicht langgeht. Der Trainer und Mensch Neururer war es gewohnt, Anordnungen zu erteilen. Jetzt darf er sich von einem Physiotherapeuten zeigen lassen, dass er nicht mal in der Lage ist, seinem Partner im Reha-Bewegungskurs einen federleichten Strandball wiederholt zuzuwerfen. Nicht mal über kürzeste Distanz. Neururer spürt die Übersäuerung seiner rückgebildeten Muskulatur. Er ist erstaunt, wie rasch sein Puls hochjagt. Doch die täglichen Einheiten, die minimalen Fortschritte, sie bringen Neururer wieder auf den Boden zurück. Auch das Golfspielen hilft ihm dabei: In Sichtweite der Reha-Klinik liegt der Golfclub Lippstadt. Dort übt Neururer das sogenannte kurze Spiel, also die Schläge rund um das Grün. Pro Tag spielt er in Gesellschaft seiner Frau Antje vorsichtig 200 bis 300 Bälle. Einen Monat nach dem Infarkt hat Neururer sein altes Gewicht wieder: 86 Kilo.
    Peter Neururer sagt, er wird zukünftig vieles bewusster angehen. Er wird nie vergessen, was Dieter Rüdig für ihn getan hat, was seine Familie mit- und durchgemacht hat und wer in dieser Lebensextremsituation die wirklich wahren Freunde in seinem und dem Leben seiner Familie gewesen sind. Auch die Anteilnahme hat ihn berührt. Unmengen an E-Mails und SMS haben ihn nach seinem Infarkt erreicht, darunter viele Promis aus der Fußballszene, Leute, mit denen er 1974 Abitur gemacht hat, aber auch viele von Absendern, deren Namen er zum ersten Mal liest.
    Als er nach drei Wochen Reha nach Hause entlassen wird, führt ihn sein erster Weg zum Golfplatz Haus Leythe. Auf die 17, jenen Ort, an dem er zusammengebrochen ist, an dem alles für immer hätte vorbei sein können. Ganz allein geht er dorthin, die Pulsuhr am Handgelenk.
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