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Performer, Styler, Egoisten

Performer, Styler, Egoisten

Titel: Performer, Styler, Egoisten
Autoren: Bernhard Heinzelmaier
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gegenwärtig einen Ästhetik-Boom. Er reicht von der individuellen Stilisierung über die Stadtgestaltung und die Ökonomie bis zur Theorie. Immer mehr Elemente der Wirklichkeit werden ästhetisch überformt, und zunehmend gilt uns Wirklichkeit im Ganzen als ästhetisches Konstrukt.“ (Welsch 1996: 9) Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich der von Wolfgang Welsch konstatierte „Ästhetik-Boom“ ohne Zweifel verstärkt. Mehr denn je kommt heute die Form vor dem Inhalt. Eine Selbstdarstellungsökonomie ist entstanden, in der der Leistungsverkauf vor der Leistungserbringung kommt. Castingshows regieren die Fernsehwelt, Shows, in der die gelungene (Selbst-)Präsentation über alles geht. Auch die Castingshows nahmen ihren Ausgang von den Jugendkulturen. Die ersten Produktionen (z. B. „Popstars“) zielten primär auf die jungen Zielgruppen, nach und nach rückten die Shows ins Hauptabendprogramm und sind heute ein attraktives Angebot auch für die Altersgruppe 40+. Das präfigurative Prinzip wirkte auch hier. Zuerst begeistern sich die Jungen für die Laufstegökonomie und dann ziehen die Alten nach.
    Wie die Jugendkultur ist nun auch die Erwachsenenkultur dabei, das Authentizitätsprinzip zu verabschieden. Wen interessiert schon, wer der Mensch wirklich ist, wen seine Herkunft, seine Ausbildung, seine Religion, seine Moral? Wichtig ist, ob er die Rolle, die er jetzt gerade spielt, gut spielt. Es geht nicht darum, woher der Mensch kommt, um seine Geschichte, um die Entwicklung, die er genommen hat. Es geht um das, was er jetzt gerade ist, ohne Rücksicht darauf, was er war und woher er kommt. Junge und Alte stehen der Welt wie Schauspieler und Theaterpublikum gegenüber. Man weiß zwar, dass der Hamlet auf der Bühne nicht wirklich der Prinz von Dänemark ist, sondern ein versoffener Darsteller, der seine Frau betrügt, aber alle achten im Moment der Aufführung nur auf die Rolle und keiner sieht den Schauspieler. So ist heute das ganze Leben, ein Schauspiel in Permanenz, bei dem für niemanden mehr der Mensch hinter der Rolle von Interesse ist.
    Es gilt als „uncool“ unter Jugendlichen, das Rollenspiel von Menschen zu unterlaufen, indem man aufdeckt, was und wer wirklich hinter einer kunstvoll dargebotenen Maskerade steckt. An Aufklärung und Kritik im Dienste der Wahrheit besteht kein Interesse mehr. Der Grund dafür liegt im Prinzip der pragmatischen Komplizenschaft. Wer selbst niemanden aufdeckt, läuft weniger Gefahr, von anderen aufgedeckt zu werden. Wie die „Superstars“ auf der Fernsehbühne, die Lieder singen, die nicht die ihren sind, so verwenden die Rollenspieler des Alltags einen Jargon, der nicht der ihre ist, stellen Bilder ins Internet, die sie als die eigenen ausgeben, obwohl sie die gutaussehende Freundin zeigen, machen Fantasieangaben zu Alter, Beziehungsstand und Beruf. Das Meiste von dem, was die postmoderne Jugend von sich zeigt, ist nicht echt. Das stört aber keinen, denn so ist die ganz Welt, nichts ist echt an ihr. Die gesamte Realität ist verdreht und fingiert. Vor allem in den Medien ist alles bloßer Schein, entweder frei erfunden, zumindest aber massiv verfälscht. Die Ignoranz der Medienbranche gegenüber dem Realitätsprinzip legitimiert die Jugend in ihrem Spiel mit eigenen erfundenen oder verfälschten Identitäten. Und wenn jedes Unternehmen, jede politische Partei, jeder Prominente PR-Berater engagieren darf, damit sie in der Öffentlichkeit mit ihrer Hilfe so erscheinen, wie sie in Wirklichkeit gerade nicht sind, warum soll dann der Durchschnittsjugendliche dasselbe nicht in Eigenregie machen dürfen?
    Die Lust am Ästhetischen und ihre präsentative Symbolik
    Die Jugend lebt in einer Selbstdarstellungsgesellschaft, in einer Gesellschaft, in der die Form vor dem Inhalt kommt. Der ästhetische Schein bestimmt das Bewusstsein. Die Jugendlichen sind ästhetische Wesen. Sie wissen, dass in einer Gesellschaft, in der die Warenästhetik regiert, die ästhetische Hülle alles und der Inhalt fast nicht bedeutet.
    Die Lust am Ästhetischen prägt das Leben der Jugendlichen. Sie sehen gerne und lassen sich gerne sehen. Sie haben Freude daran, an ihrem Körper, an ihren Frisuren und ihren Kleidungsstilen zu arbeiten. Wenn sie sich entscheiden müssen, dann lassen sie sich von ihren Augen leiten, nicht von ihrem Verstand. Das muss die Kommunikation berücksichtigen, die in einer performativen Jugendkultur erfolgreich sein will.
    Die 1985 verstorbene amerikanische Philosophin Susanne K.
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