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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber
Autoren: China Miéville
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versuchte, sich von der Angelegenheit zu distanzieren, sich einzureden, dass, wenn er Yagharek den Vertrag aufkündigte, es keine indirekte Verurteilung darstellte, sondern schlicht und einfach hieß: Das geht über meinen Horizont, das ist nicht meine Sache und ich will nichts damit zu tun haben. Basta. Doch es klang ihm nicht einmal selbst überzeugend.
    Er ließ den Oberkörper nach von sinken und vergrub den Kopf in den Händen. Wenn er sich von Yagharek abwandte, ganz gleich mit welcher Begründung, würde es ihm vorkommen, als hätte er über ihn den Stab gebrochen. Und das konnte er reinen Gewissens nicht tun, wenn er die Fakten nicht kannte.
    Aber diese Überlegung hatte eine andere im Gefolge, die logische und unschöne Kehrseite der Medaille.
    Wenn die Verweigerung von Hilfe einen Schuldspruch implizierte, den zu fällen er sich nicht berechtigt fühlte, dann, dachte Isaac, dann bedeutete im Umkehrschluss, ihm zu helfen, ihm die geraubten Flügel zu ersetzen, eine stillschweigende Billigung seiner Tat.
    Und das, dachte Isaac mit kaltem Zorn und Abscheu, konnte er nicht tun.
     
    Als Derkhan zurückkam, stand die Sonne schon tief und der Himmel trug die Wunden blutroter Wolken. Nachdem Isaac auf das verabredete Klopfzeichen geöffnet hatte, schlüpfte sie an ihm vorbei ins Zimmer.
    »Es war ein wunderbarer Tag«, seufzte sie bedauernd. »Ich habe mir die Gegend ein wenig angesehen, den Kopf ausgelüftet, ein paar neue Eindrücke gesammelt …« Sie schaute ihn an und verstummte mitten im Satz.
    Sein dunkles, narbiges Gesicht trug einen schwer zu deutenden Ausdruck, ein Gemisch aus Hoffnung und Erregung und schrecklicher Seelenpein. Er konnte nicht stillhalten, war ständig in Bewegung, als hätte er Flöhe gefrühstückt. Er trug seinen langen Bettlermantel. Der Sack stand breit und plump neben der Tür, angefüllt mit klobigen Gegenständen. Die Krisismaschine war verschwunden, stellte sie fest, auseinander genommen und in dem Sack verstaut.
    Ohne das wild wuchernde Durcheinander aus Metall und Drähten wirkte der Raum absolut kahl.
    »Oh!« Derkhan sah, dass Isaac Lin in eine alte, zerrissene Decke gehüllt hatte, an der sie nervös zupfte. Sie freute sich erkennbar bei Derkhans Anblick.
    »Zeit zum Aufbruch«, sagte Isaac mit einer hohlen, schrecklich angespannten Stimme.
    »Was redest du?«, fragte Derkhan ungehalten. »Was soll das heißen? Wo ist Yagharek? Was ist los mit dir?«
    »Dee, bitte …« Isaac griff nach ihren Händen. Ihr wurde angst und bange unter seinem eindringlichen, zwingenden Blick. »Yag ist noch nicht wiedergekommen. Ich lasse das für ihn hier.« Er zog einen Brief aus der Tasche und ließ ihn mit einer fahrigen Handbewegung in die Mitte des Fußbodens segeln. Derkhan wollte etwas sagen, aber Isaac schnitt ihr mit einem Kopfschütteln das Wort ab.
    »Ich bin nicht … Ich kann nicht … Ich arbeite nicht mehr für Yag, Dee … Ich habe unseren Vertrag gekündigt … Frag jetzt nicht, ich werde es dir erklären, versprochen, aber erst lass uns gehen. Du hattest Recht, wir sind viel zu lange hier geblieben.« Er schwenkte die Hand in Richtung des Fensters, durch das der muntere, heimelige Lärm des Vorstadtfeierabends drang. »Die verdammte Regierung sitzt uns im Nacken und der mächtigste Verbrecherboss des gesamten Kontinents. Ganz zu schweigen von dem Konstrukt Konzil.« Er umfasste ihre Schultern und schüttelte sie sanft.
    »Wir gehen. Wir drei. Wir suchen uns einen Ort, wo wir in Ruhe leben können.«
    Sie machte sich steif und griff nach seinen Handgelenken. »Was ist passiert?«, verlangte sie zu wissen. »Heraus damit.«
    Sein Blick irrte ab, kehrte zu ihr zurück.
    »Ich hatte Besuch …« Sie schrie leise auf, aber er schüttelte beruhigend den Kopf. »Nicht, was du denkst – Besuch aus dem Cymek.« Er schaute ihr in die Augen und schluckte. »Ich weiß, was Yagharek getan hat, Dee.« Er schwieg, während ein Ausdruck kalter Gefasstheit sich über ihre Züge breitete. »Ich weiß, wofür er – bestraft wurde.
    Uns hält hier nichts mehr, Dee. Ich werde dir alles erklären, alles, ich schwöre, aber es gibt für uns keinen Grund mehr, nicht den geringsten, hier noch zu warten. Wir sprechen unterwegs darüber.«
    Tagelang hatte er sich entschlusslos treiben lassen, versunken in die Probleme der Krisismathematik und absolut, abgrundtief verzweifelt wegen Lin. Jetzt endlich war ihm schlagartig der Ernst ihrer Lage zu Bewusstsein gekommen. Er erkannte die Gefahr, in der sie
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