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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber
Autoren: China Miéville
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schreie, und während meine Stimme wächst, erwachen in mir Erinnerungen an Kriegsgeschrei, Erinnerungen an meinen Clan, der vorstürmt, um zu jagen oder zu kämpfen, Erinnerungen an Bestattungsululationen und Geheul zum Austreiben böser Geister, aber dies hat damit nichts zu tun, dies ist mein Schmerz, roh, unbeschnitten, ungeformt, ungebärdig, unziemlich, mein Eigen, meine Qual, meine Einsamkeit, mein Elend, meine Schuld.
     
    Sie antwortete mir nein, dass Sazhin sie gebeten hätte, für diesen Sommer seine Gefährtin zu sein, und dass sie, weil es sein Jahr der Ernte war, ihm ja gesagt hätte, dass sie sich, als ein Geschenk für ihn, ausschließlich mit ihm paaren wolle.
    Sie sagte mir, ich sei dreist, ich solle gehen, sie respektieren; ihr Respekt bezeigen und sie nicht mehr belästigen.
     
    Es war eine hässliche, gewalttätige Paarung. Ich war nur wenig stärker als sie. Es dauerte lange, ihren Widerstand zu brechen. Sie kratzte mich und hackte nach mir, wehrte sich mit aller Kraft. Ich ließ nicht ab von ihr.
    Ich steigerte mich in eine Raserei der Lust und Eifersucht. Ich schlug sie und drang in sie ein, während sie besinnungslos war.
    Ihr Zorn, als sie erwachte, war unbeschreiblich und beängstigend. Er machte mir bewusst, was ich getan hatte.
     
    Scham hat mich begleitet seit jenem Tag. Reue kam erst später. Sie breiten sich um mich, wie um mir meine Flügel zu ersetzen.
     
    Das Urteil des Clans war einstimmig. Ich leugnete nicht (für den Bruchteil der Dauer eines Lidschlags kam es mir in den Sinn, und eine Woge des Selbsthasses verursachte mir Übelkeit).
    Es gab keine Zweifel bezüglich des Strafmaßes.
    Ich wusste, es war die richtige Entscheidung. Ich war sogar imstande, ein wenig Würde zu bewahren, ein klein wenig, als ich zwischen den gewählten Vollstreckern des Urteils zur Richtstätte ging, schlurfend, wegen der schweren Gewichte, die man mir angehängt hatte, um zu verhindern, dass ich fliehe, davonfliege, aber ich ging weiter, ohne Zögern, ohne Frage.
    Erst im letzten Moment zeigte ich Schwäche, als ich die Pflöcke sah, die mich an die ausgedörrte Erde fesseln sollten.
     
    Die letzten Meter mussten sie mich gewaltsam weiterzerren, hinunter in das ausgetrocknete Bett des Ghost River. Ich wand und wehrte mich bei jedem Schritt. Ich flehte um Gnade, die ich nicht verdiente. Wir waren eine halbe Meile von unserem Lager entfernt, und ich bin überzeugt, dass mein Clan jeden meiner Schreie hörte.
     
    Ich wurde auf dem Boden gekreuzigt, den Bauch im Staub, die Sonne heiß auf meinem Rücken. Ich zerrte an den Fesseln, bis meine Hände und Füße gefühllos waren.
    Fünf auf jeder Seite, die meine Flügel festhielten. Meine großen Schwingen fest hielten, mit denen ich zu schlagen versuchte, meine Henker, sie abzuschütteln versuchte unter Auferbietung aller Kraft. Ich blickte auf und sah ihn, der die Säge führen sollte, meinen Vetter, rot gefiederter San’jhuarr.
    Staub und Sand und Hitze und der Wind zwischen den steinigen Ufern. Ich erinnere mich.
     
    Ich erinnere mich an die Berührung von Metall. Das unbeschreibliche Gefühl des Eindringens, das grausige Hin-her-hin-her der gezähnten Klinge. Mein Fleisch verfing sich daran, sodass sie herausgezogen und gereinigt werden musste, viele Male. Ich erinnere mich an das atemberaubende Streichen von Luft über bloßgelegtes Fleisch, durchtrennte Nervenenden. Das langsame, zähe, erbarmungslose Knirschen von Knochen. Ich erinnere mich an das Erbrochene, das meine Schreie erstickte, kurz, bis mein Mund wieder frei war und ich atmen konnte und wieder schreien. Blut in erschreckender Menge. Die plötzliche schwindelerregende Schwerelosigkeit, als eine Schwinge weggehoben wurde und die Knochenstümpfe bebend zurückschlüpften in mein Fleisch, das sich zerrissen hervordrängte, und der quälende Druck von sauberen Tüchern und Salben auf der großen Wundfläche und die gemessenen Schritte von San’jhuarr um meinen Kopf herum und das Wissen, das unerträgliche Wissen, dass alles noch einmal geschehen würde.
     
    Ich habe nie bezweifelt, dass die Strafe verdient war. Auch nicht, als ich floh, um wieder fliegen zu können. Ich war doppelt beschämt. Verkrüppelt und der Respekt mir abgesprochen wegen meiner Tat. Ich war bereit, all dieses um die Schmach zu vermehren, eine gerechte Strafe rückgängig zu machen.
    Ich konnte nicht leben. Ich konnte nicht an die Erde gefesselt sein. Ich war tot.
     
    Ich verstaue Isaacs Brief in meinen
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