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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber
Autoren: China Miéville
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Dauerschmerz, der aber bei jeder Berührung neu aufflammte. Sie legte große Selbstbeherrschung an den Tag. Isaac und Lemuel betasteten unbehaglich ihre eigenen, vernarbten Wunden.
    Als die Nacht hereinbrach, traf Isaac Vorbereitungen zum Aufbruch. Erneut gab es Streit. Isaac blieb eisern. Er wollte allein mit Lin sprechen.
    Er musste ihr sagen, dass sie in Lebensgefahr schwebte, sobald die Miliz ihren Namen mit dem seinen in Zusammenhang brachte. Er musste ihr sagen, dass ihr Leben, wie sie es gelebt hatte, vorbei war, und durch seine Schuld. Er wollte sie fragen, ob sie bereit war, mit ihm zu kommen, mit ihm zu fliehen. Er brauchte ihre Vergebung und ihren Trost.
    Eine Nacht allein mit ihr. Mehr nicht.
    Lemuel war nicht weniger unnachgiebig. »Unser aller Köpfe stehen auf dem Spiel«, zischte er. »Jeder Milizzer der Stadt macht Jagd auf dich. Ich wette, dein Helio klebt an jedem Turm und Pfeiler, in jedem Stockwerk des Spike. Du hast keine Ahnung davon, wie man es anstellt, nicht entdeckt zu werden. Hinter mir sind sie schon her, seit ich denken kann. Wenn du gehst, um deinen Glückskäfer zu besuchen, komme ich mit.«
    Isaac war nichts anderes übrig geblieben, als nachzugeben.
    Um halb elf hatten die Gefährten sich ihre ramponierte Kleidung übergeworfen und ihre Gesichter verhüllt. Nach vielem guten Zureden war es Isaac endlich gelungen, das Konstrukt dazu zu bewegen, mit ihm zu kommunizieren. Widerstrebend und quälend langsam hatte es seine Botschaft in die Erde gekratzt.
    Griss Twist, Halde 2, schrieb es. Morgen Nacht um 10. Lasst mich jetzt unter den Arkaden zurück.
    Im Gefolge der Dunkelheit, stellten sie fest, kamen die Albträume. Auch wenn man nicht schlief. Die mentale Übelkeit vom Dung der Gierfalter, der den Schlaf der Stadt vergiftete. Alle vier wurden reizbar und nervös.
    Isaac versteckte seine Reisetasche mit den Komponenten der Krisismaschine unter einem Bretterstapel in der Hütte. Auf dem Weg den Schutthang hinunter mussten sie sich ein letztes Mal mit dem Konstrukt plagen. Isaac schob es in eine Nische im bröckligen Mauerwerk der Eisenbahnbrücke.
    »In Ordnung so? Fühlst du dich wohl?«, hatte er sich erkundigt und fand es immer noch albern, mit einer Maschine zu sprechen. Das Konstrukt gab keine Antwort und er überließ es endlich seinem Schicksal. »Wir sehen uns morgen«, sagte er zum Abschied.
    Das kriminelle Quartett machte sich, nicht eben in bester Stimmung, auf seinen verstohlenen Weg durch New Crobuzons brodelnde Nacht. Lemuel lotste seine Gefährten in die Schattenstadt der Schleichwege und alternativen Geografie. Sie mieden Straßen, wenn sie in Gassen ausweichen konnten oder besser noch in sommertrockene Kanäle. Sie schlichen durch verlassene Hinterhöfe und über Dächer und weckten die Vaganten, die sich hinter ihnen murrend wieder zusammenrollten.
    Lemuel war in seinem Element. Er lief und sprang und kletterte und trug dabei in einer Hand die schussbereite Pistole, um ihnen Deckung zu geben. Yagharek hatte sich an einen Körper ohne Flügel gewöhnt. Seine hohlen Knochen und sehnigen Muskeln arbeiteten in effizientem Zusammenspiel. Er federte leichtfüßig über den architektonischen Parcours. Derkhan hielt verbissen Schritt; sie war fest entschlossen, nicht zurückzubleiben.
    Isaac war der Einzige, der litt und kein Hehl daraus machte. Er schnaufte und röchelte und keuchte, während er seine Leibesfülle die verschlungenen Diebespfade entlangschleppte und mit beiden Armen den wogenden Bauch umfangen hielt. Bretter knirschten, knackten, brachen unter seinen schweren, stampfenden Schritten; jedes Ausatmen war von einem Fluch begleitet.
    Sie bewegten sich durch die Nacht wie durch einen Urwald. Mit jedem Schritt wurde die Luft drückender. Ein Gefühl von Ausgeliefertsein, bedeutungsschwangerer Unruhe, als ob lange Nägel über die Scheibe des Mondes kratzten und die Seele frösteln machten. Von überallher wehte leise und laut das Klagen der von Nachtgesichten heimgesuchten Schläfer heran.
    In Flyside machten sie kurz Rast, ein paar Straßen entfernt vom Milizturm, um an einer Pumpe zu trinken und sich zu waschen. Anschließend setzten sie ihren Weg fort, nach Süden, durch das Gassengewirr zwischen Shadrach Street und Selchit Pass, hinunter nach Aspic Hole.
    Dort, auf dem fast menschenleeren und gespenstischen Platz vor ihrem Haus, hatte Isaac seine Gefährten gebeten, ihn allein weitergehen zu lassen. Zwischen keuchenden, pfeifenden Atemzügen beschwor er sie zu
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