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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber
Autoren: China Miéville
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erzählt, was er nicht längst selber weiß, dachte Isaac. Er will nur jetzt nicht darüber nachdenken. Laut sagte er: »Bruder, du machst dir was vor. Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen einem rechtlichen Grenzgänger und einem sich mit Waffengewalt der Staatsmacht widersetzenden Kriminellen! Begreifst du nicht? Sie haben keine Ahnung, was du weißt oder nicht weißt. Für sie bist du ein Komplize. Du musst die Sache wohl oder übel mit uns zusammen durchstehen. Sie sind hinter dir her, stimmt’s? Und du läufst vor ihnen weg. Tja, auf der Flucht ist es besser, den Verfolgern die Hacken zu zeigen, als sich umzudrehen und fangen zu lassen.«
    Lemuel musterte Isaac finster. Er äußerte sich nicht, machte aber auch keine Anstalten zu gehen.
    Isaac tat einen Schritt auf ihn zu. »Der zweite Punkt ist, wir – ich brauche dich.« Derkhan schniefte gekränkt, Isaac warf ihr einen unwilligen Blick zu. »Gottschiet, Lem, du bist für uns überlebenswichtig. Du kennst die richtigen Leute, du hast die Finger in jedem wichtigen Kuchen …«
    Isaac warf in einer Gebärde der Hilflosigkeit die Hände in die Luft. »Sonst weiß ich nicht, wie wir mit halbwegs heiler Haut diesen Schlamassel überstehen sollen. Eins von diesen Biestern hat es auf mich abgesehen, die Miliz ist unfähig, der Pest Herr zu werden, und als Tüpfelchen auf dem i, falls du noch mitkommst, machen sie auch Jagd auf uns … Ich sehe für mich keine Möglichkeit – selbst angenommen, wir erwischen die Gierfalter – lebendig aus dieser Sache herauszukommen.« Bei den letzten Worten überlief es ihn kalt, und er sprach schnell weiter, um nicht darüber nachdenken zu müssen. »Aber wenn ich dranbleibe, finde ich vielleicht ein Schlupfloch. Dasselbe gilt für dich. Und ohne dich sind Derkhan und ich so gut wie tot.«
    Lemuel zuckte nicht mit der Wimper. Isaac fröstelte. Vergiss nicht, mit wem du es zu tun hast, dachte er. Er und du sind keine Freunde – denk daran! Er änderte seine Taktik.
    »Du weißt, dass ich kreditwürdig bin. Ich will nicht so tun, als hätte ich ein riesiges Guthaben auf der Bank, ein bisschen Geld ist noch da, ein paar Guineen, über die du verfügen kannst, aber hilf mir, Lemuel, und du kannst über mich verfügen! Ich werde für ich arbeiten. Ich werde dein Laufbursche sein, dein Sklave. Egal was für Aufträge, ich führe sie aus. Was ich verdiene, gehört dir. Ich verpfände dir mein künftiges Leben, Lemuel. Wenn du mir jetzt hilfst.«
    Man hörte kein Geräusch, außer dem unablässigen Tropfen kondensierter Feuchtigkeit. Derkhan stand hinter Isaac, ihr Gesicht war eine Studie der Verachtung und des Abscheus. Wir brauchen ihn nicht, stand deutlich darauf geschrieben. Trotzdem wartete sie ab, was Lemuel antworten würde. Yagharek war ein unbeteiligter Beobachter. Er war auf Isaac angewiesen, musste hingehen, wo er hinging.
    Lemuel seufzte. »Du bist dir darüber im Klaren, dass ich Buch führen werde? Dass du dich in ernsthafte Schulden stürzt? Hast du eine Ahnung, wie hoch der Tagessatz für so einen Auftrag ist? Die Gefahrenzulage?«
    »Ist mir egal«, schnappte Isaac. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, aber er ließ sich seine Erleichterung nicht anmerken. »Halt mich nur auf dem Laufenden. Gib mir ab und zu eine Zwischenbilanz. Ich stehe dafür gerade.«
    Lemuel nickte knapp. Derkhan atmete aus, sehr leise und vorsichtig.
    Sie standen sich gegenüber wie erschöpfte Duellanten. Jeder wartete auf den Zug des anderen.
    Lemuel sprach zuerst. »Und was weiter?« Es klang verdrossen.
    »Morgen Abend gehen wir nach Griss Twist«, sagte Isaac. »Das Konstrukt hat versprochen, dass wir da Hilfe finden; wir dürfen uns diese Chance nicht entgehen lassen. Wir treffen uns da.«
    »Kommst du nicht mit?«, fragte Derkhan überrascht. »Was hast du vor?«
    »Ich muss Lin warnen«, erklärte Isaac. »Sie ist in Gefahr.«

 
KAPITEL 3
     
     
    Es ging auf Mitternacht. Lohntag tickte hinüber zu Schontag. Der Mond war fast voll.
    Die wenigen Passanten vor Lins Wohnturm wirkten gehetzt und reizbar. Der Markttag war vorbei und die heitere Stimmung mit ihm. Auf dem Emporium spukten die Skelette der Buden, dünne Lattengerüste, ihrer Leinwandhaut beraubt. Faulende Abfälle warteten zu Haufen zusammengekehrt auf die Müllabfuhr. Der Schein des fetten Mondes bleichte Aspic Hole wie eine ätzende Flüssigkeit. Es wirkte bedrohlich, schäbig und heruntergekommen.
    Isaac erklomm die Treppe mit einem flauen Gefühl im Magen. Er hatte
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