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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson
Autoren: Die Widerspenstige
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schlimmer als in den ersten, erschreckenden und einsamen
Monaten, nachdem Assacumbuit ihn nach Wells gebracht und seinem Großvater
übergeben hatte. War er Tyler Savitch, der Yengi-Arzt? Oder war er Bedagi, der
Sohn eines Sachem der Abenaki? Wie damals schien ein anderer die
Entscheidung für ihn getroffen zu haben. Er war nach seiner Herkunft ein Yengi, und deshalb stand er mit den anderen Siedlern von Merrymeeting auf den
Palisaden und mußte sich verteidigen, selbst wenn er dabei andere Abenaki tötete.
    Er lehnte sich mit einer Schulter an das
rauhe Holz und blickte zum Himmel hinauf. Die Sterne glitzerten. Das breite Band
der Milchstraße zog über das Firmament wie ein weißer, leuchtender Aal, der
dicht unter der Oberfläche eines dunklen Sees schwamm. Die Abenaki glaubten,
die Milchstraße sei der Sternenweg, der in das Land der Geister führte. Wenn es
nach den Männern von Merrymeeting ging, würden am nächsten Morgen viele Abenaki-Krieger
diesen Weg gehen.
    »Tyl?«
    Er richtete sich auf und drehte sich langsam um. Sie kam zu ihm.
Um ihre Augen sah man die Erschöpfung und das Leid. Ihr Mund zitterte. Er
öffnete stumm die Arme.
    Sie drückte sich an ihn, ihre Wange lag an
seiner Brust.
    »Wie haben es die Mädchen aufgenommen?« fragte
er.
    Sie legte den Arm um seine Hüfte und ließ den Kopf sinken. »Ich
glaube nicht, daß Tildy es richtig begreift. Aber Meg ... sie hat sich in den
Schlaf geweint. Warum mußte er sterben, Tyl?«
    »Wir haben ihm den Tod nicht gewünscht«, sagte er und beantwortete
damit ihren unausgesprochenen Gedanken.
    Wahrscheinlich würden aber doch immer Schuldgefühle zurückbleiben,
denn Nats Tod hatte ihnen ihre Liebe wiedergegeben.
    Nein, ihre Liebe hätten sie immer gehabt. Nats Tod hatte ihnen
ihre Zukunft wiedergegeben.
    Er spannte die Armmuskeln an
und drückte Delia in wortlosem Verstehen enger an sich. Nach langer, langer
Zeit hob sie den Kopf. Sie fuhr mit der Fingerkuppe über seine Unterlippe.
    »Ich liebe dich, Tyl.«
    Er küßte sie, aber nicht voll Leidenschaft und nicht voll Verlangen,
obwohl der Hunger wie immer da war.
    Er küßte
sie voll Liebe.
    Im zögernden grauen Licht des Morgengrauens strömten sie aus dem
Wald, und ihr blutrünstiges Kriegsgeheul zerriß die kalte Luft.
    Sam Randolf hielt die Lunte an das Schießpulver im
Verschlußstück. Oberst Bishop stand mit erhobener Hand neben ihm. »Warten, Sam,
warten«, sagte er leise. »Lassen wir sie näher herankommen. Es muß sich
lohnen, Sam, es muß sich lohnen ...«
    Seine Hand fuhr nach unten. »Jetzt!«
    Die Kanone donnerte. Sie schoß eine Ladung
Musketenkugeln, Nägel und Eisensplitter in das Gewimmel der Indianer mit ihren
langen Leitern. Der Schuß dröhnte wie Donner über den Himmel, rollte über das
Wasser und erfüllte die Luft mit stinkendem schwarzen Rauch. Das Kriegsgeheul
verwandelte sich in Schmerzensschreie.
    Sam Randolf drehte hustend das Rohr herum, um die zweite Salve zu
laden. Er fluchte, als er zufällig das heiße Metall berührte.
    Oberst Bishop legte ihm die Hand auf den Arm. »Schon gut, Sam. Sehen
Sie, der Doc hatte recht. Sie laufen davon!«
    Sam stieß einen Jubelschrei aus. »Wir haben ihnen mit einem
einzigen Schuß die Lust genommen!« rief er. Trotzdem lud er die Kanone noch
einmal, und alle warteten in gespanntem Schweigen, ob die Abenaki es doch noch
einmal versuchen würden.
    Tyl wartete nicht. Er stieg vom Wehrgang und ging durch das Tor
hinaus auf die Lichtung, wo etwa ein Dutzend lebloser Körper verstreut lag.
    Er wollte feststellen, ob noch jemand lebte. Und ob er jemanden
kannte.

Epilog
    Tyl steckte eine Karotte mitten in das Gesicht des Schneemanns und
trat zurück, um die Wirkung zu begutachten. Leider war es eine welke, graue
Karotte, die auch noch gebogen war. Der Schneemann wirkte irgendwie finster.
    Tildy kicherte und zupfte an den Fransen von
Tyls Lederhemd. »Er sieht blöd aus. Der Schneemann sieht blöd aus mit dieser
Nase.«
    Tyl blickte auf seine Adoptivtochter hinunter. Ein glückliches
Lächeln lag auf seinem Mund. Es war ihm, als würde er nun seit elf Monaten
schon ununterbrochen so lächeln.
    »Ich muß dir leider recht geben, mein Häschen«, sagte er und
verlieh seinem Ton den angemessenen Ernst. »Vielleicht sollten wir hineingehen
und bei einer Tasse Schokolade überlegen, was wir dagegen tun können.«
    Tildy rannte zurück zum Haus. Sie jubelte vor Begeisterung und
erschreckte ein Kaninchen, das vorsichtig auf die Lichtung gehüpft war.
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