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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson
Autoren: Die Widerspenstige
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Merrymeeting!«
    Delia blickte auf ihre blutverschmierten Hände. Sie sah Tyl entsetzt
und verständnislos an. »Tyl ... Nat ist ...«
    Er schüttelte sie leicht. »Delia! Du mußt alle in Merrymeeting
warnen und die Mädchen hinter den Palisaden in Sicherheit bringen.« Er
schüttelte sie noch einmal, diesmal fester. »Hast du mich verstanden?«
    Sie nickte und biß sich auf die Unterlippe.
    »Gut.« Er faßte sie am Kinn, gab ihr einen schnellen Kuß auf den
Mund, drehte sie herum und schob sie vorwärts. »Jetzt lauf, Delia. Lauf, so
schnell du kannst!«
    Sie rannte davon. Er sah ihr nach, bis sie die Mädchen erreicht
hatte. Sie nahm Tildy auf den Arm, gab Meg die Hand, und die drei verschwanden
auf dem Feldweg in Richtung Siedlung.
    Tyl kniete neben Nat. Graue, vor Schmerz dunkle Augen richteten
sich auf sein Gesicht. »Doc? Mein Magen tut weh.«
    »Sie haben ein Messer im Bauch, Nat«, sagte Tyl. Er wünschte, er
hätte Schmerzwurz gehabt, um Nats Qualen zu lindern. »Ich muß es herausziehen.«
    Nat nickte und holte mit einem erstickten Schluchzen Luft. »Delia
...?«
    »Sie ist in Sicherheit. Ihre Mädchen ebenfalls ... Nat, es wird
weh tun. Machen Sie sich darauf gefaßt.«
    Das Messer steckte tief und ließ sich nur
schwer herausziehen. Tyl fürchtete, Nat werde es nicht überleben. Aber er
atmete zwischen seinen Schreien immer noch keuchend und röchelnd. Tyl stillte
das Blut mit Nats zusammengelegtem Hemd und wartete fiebernd darauf, daß die
Sturmglocke im Fort anfing zu läuten, denn das würde bedeuten, daß Delia und
die Mädchen in Sicherheit waren. Dabei wußte er, daß sie mindestens eine halbe
Stunde brauchten, um das Fort zu erreichen.
    Tyl überlegte, Nat mit Hilfe von Tragestangen nach Merrymeeting
zu ziehen. Aber dann entdeckte er auf dem Feld in der Nähe die Steinschleife.
Er kam mit dem Ochsengespann zurück und hob Nat, so vorsichtig er konnte, auf
den Schlitten. Nat begann bei der Berührung wieder vor Schmerzen zu schreien,
doch sobald er auf der Steinschleife lag, verstummte er. Tyl hoffte um Nats
willen, daß er ohnmächtig geworden war.
    Nat seufzte, und sein Kopf fiel zur Seite.
»Mary ...«
    »Durchhalten, Nat. Sie schaffen es. Sie müssen
nur durchhalten.«
    Nat versuchte, die Hand zu heben, aber sie sank schlaff nach
unten. Seine glasigen Augen wurden plötzlich klar, und er sah Tyl an. »Sagen
Sie Delia ... es ... tut ... mir leid. Ich wollte ... gutmachen. Keine
Möglichkeit ...«
    Tyl faßte ihn an der Schulter. »Das sagen Sie ihr selbst. Wenn wir
in Merrymeeting sind.«
    Nats Augen schlossen sich wieder, und eine hohe Welle aus Blut
schlug über ihm zusammen. Der Schmerz war etwas Lebendiges in seinem Leib. Er
sah es vor sich, wie das rote Blut ihn verzehrte so wie Flammen ein mit Pech
getränktes Stück Holz. Es zischte und prasselte und brannte. Es war
unerträglich, und er hoffte, er werde schnell sterben.
    Mary ...
    Er fühlte sich ihr sehr nahe. Zum ersten Mal seit ihrem Tod
glaubte er, tatsächlich ihre Stimme zu hören. Ihr Bild, das in letzter Zeit
verblaßt war, stand ihm plötzlich klar und deutlich vor Augen, als beuge sie
sich über ihn, und ihr Gesicht schien kaum eine Handbreit von seinem entfernt
zu sein. Er spürte ganz deutlich, wie ihre Lippen ihn sanft auf die Stirn
küßten.
    Ich komme, sagte
er zu ihr. Bald, bald ...
    Die Schmerzen ließen einen Augenblick nach,
und sein Bewußtsein wurde wieder klar. Er fühlte sich schuldig, weil er
sterben wollte. Er ließ seine Kinder und seine Frau zurück. Aber die Schuldgefühle
waren schwach im Vergleich zu dem Wunsch, daß die unerträglichen Schmerzen
aufhören würden – und schwach im Vergleich zu der Freude, der unglaublichen
Freude und der Erwartung, bald, sehr bald Mary zu sehen. Sie würden wieder
zusammensein, und diesmal für immer.
    Glocken ... aus weiter Ferne hörte er Glocken
läuten.
    Wie seltsam, dachte er, daß es im Himmel
Glocken gibt.
    Der blaue Himmel über ihm begann, in einem weißen Licht zu
strahlen, und das Läuten wurde lauter. Das weiße Licht war kalt, sehr kalt.
Aber das machte nichts, denn die Kälte betäubte den heftigen Schmerz in seinem
Leib.
    Bald, dachte er, bald, bald ...
    »Mary ...
    Tyl hörte Nats tonloses Flüstern und blickte auf ihn hinunter. Auf
seinen Lippen lagen tröstende, aufmunternde Worte, aber sie erstarben, als er
die offenen, leblosen Augen sah.
    Das Läuten der Sturmglocke im Fort drang weit durch die klare
Frühlingsluft. Die Siedler von den umliegenden
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